Ein süßer Traum (German Edition)
der Menschheit, Foyle’s.« Dabei warf er Frances einen nervösen Blick zu. »Frances findet das nicht richtig.«
Sie wussten, dass Frances das nicht richtig fand. Oft sagte sie: »Das ist meine unglückselige Kinderstube. Man hat mich dazu erzogen, Stehlen falsch zu finden.« Und wann immer sie oder jemand anders etwas kritisierte oder anderer Meinung war als die anderen, sagten sie im Chor: »Das ist deine unglückselige Kinderstube.« Irgendwann hatte Andrew gesagt: »Der Witz ist allmählich ein bisschen alt.«
Und es wurde eine halbe Stunde herumgealbert, über alte Witze und unglückselige Kinderstuben.
Jetzt setzte Johnny zu seinem üblichen Vortrag an: »Richtig, ihr nehmt den Kapitalisten alles weg, was ihr kriegen könnt. Schließlich haben sie euch das alles zuerst gestohlen.«
»Uns doch wohl nicht?« Andrew forderte seinen Vater heraus.
»Der Arbeiterklasse gestohlen. Den gewöhnlichen Leuten. Nehmt ihnen weg, was ihr kriegen könnt, den Bastarden.«
Andrew hatte noch nie in einem Laden etwas gestohlen, für ihn war das niederes Benehmen, das nur zu Proleten passte, und er sagte als direkte Herausforderung: »Solltest du nicht heimgehen zu Phyllida?«
Frances konnte er ignorieren, aber jetzt, da sein Sohn ihn tadelte, ging Johnny zur Tür. »Vergesst nie«, ermahnte er sie, »dass ihr alles, was ihr macht, jedes Wort, jeden Gedanken, an den Erfordernissen der Revolution überprüfen müsst.«
»Und was hast du heute ergattert?«, fragte Rose Geoffrey. Sie bewunderte ihn beinahe so sehr wie Johnny.
Geoffrey nahm Bücher aus den Tragetaschen und baute daraus einen Turm auf dem Tisch.
Sie klatschten. Außer Frances und Andrew.
Stattdessen zog Frances aus ihrer Aktentasche einen der Briefe an die Zeitung, die sie mit nach Hause gebracht hatte. Sie las vor: »›Liebe Tante Vera‹ – das bin ich –, ›Liebe Tante Vera, ich habe drei Kinder, alle in der Schule. Jeden Abend kommen sie mit gestohlenem Zeug nach Hause, meistens Süßigkeiten und Kekse …‹« Hier stöhnte die Gesellschaft auf. »›Aber es kann alles Mögliche sein, auch Schulbücher …‹« Sie klatschten. »›Doch heute kam mein Ältester, der Junge, mit einer sehr teuren Jeans nach Hause.‹« Sie klatschten wieder. »›Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wenn es an der Tür klingelt, denke ich: Das ist die Polizei.‹« Frances ließ ihnen Zeit zum Stöhnen. »›Und ich habe Angst um sie. Ich bitte Sie sehr um Ihren Rat, Tante Vera. Ich bin mit meinem Latein am Ende.‹«
Sie schob den Brief an seinen Platz zurück.
»Und was wirst du ihr raten?«, fragte Andrew.
»Vielleicht sagst du mir lieber, was ich sagen soll, Geoffrey. Ein Schulsprecher kennt sich da doch sicher bestens aus.«
»Ach, sei doch nicht so, Frances«, sagte Rose.
»Oh«, stöhnte Geoffrey, legte den Kopf in die Hände und ließ die Schultern beben, als würde er schluchzen, »sie nimmt das ernst.«
»Natürlich nehme ich das ernst. Es ist Diebstahl. Ihr seid Diebe«, sagte Frances zu Geoffrey, und sie konnte sich die Freiheit nehmen, weil er seit Jahren praktisch bei ihnen wohnte. »Du bist ein Dieb. Weiter nichts. Ich bin nicht Johnny.«
Jetzt schwiegen alle wirklich bestürzt. Rose kicherte. Das knallrote Gesicht des Neuen, James, war so gut wie ein Geständnis.
Sophie schrie auf: »Aber, Frances, ich wusste gar nicht, dass du uns so sehr ablehnst.«
»So ist es aber«, sagte Frances, und ihre Stimme und ihr Gesicht wurden weicher, weil es Sophie war. »Und jetzt weißt du es.«
»Das ist ihre unglückselige Kinderstube …«, fing Rose an, aber auf einen Blick von Andrew hin hörte sie auf.
»Und jetzt gehe ich Nachrichten sehen, und dann muss ich arbeiten.« Im Hinausgehen sagte sie: »Schlaft gut, ihr alle.« Auf diese Weise gab sie allen, die vielleicht gerne übernachten wollten, die Erlaubnis dazu, James zum Beispiel.
Die Nachrichten sah sie sich nur kurz an. Offenbar hatte irgendein Wahnsinniger Kennedy erschossen. Soweit es sie betraf, war einfach noch ein Staatsmann tot. Wahrscheinlich hatte er es verdient. Sie hätte sich nie erlaubt, diesen Gedanken auszusprechen, der dem Zeitgeist so fern war. Manchmal kam es ihr vor, als hätte sie in ihrem langen Umgang mit Johnny als einzig nützliche Sache gelernt, wie man verschweigt, was man denkt.
Bevor sie sich an die Arbeit machte, die an diesem Abend darin bestehen würde, ungefähr hundert Briefe durchzugehen, die sie mit nach Hause gebracht hatte, öffnete sie die Tür zum
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