Ein süßer Traum (German Edition)
Sylvia sagen, also sagte ich Tilly.« So viele Worte auf einmal hatte noch niemand je von ihr gehört.
»Also gut. Dann nenne ich dich Sylvia.«
Julia hatte einen Becher in der Hand, mit einem Löffel darin. Jetzt ließ sie ganz vorsichtig eine wohlbemessene Menge des Becherinhalts – es roch nach Suppe – auf den Löffel laufen und hielt ihn dann an Tillys oder Sylvias Lippen. Die fest geschlossen waren.
»Jetzt hör mir gut zu. Ich lasse nicht zu, dass du dich umbringst, weil du töricht bist. Das erlaube ich nicht. Und jetzt musst du den Mund aufmachen und etwas zu dir nehmen.«
Die blassen Lippen zitterten ein wenig, aber sie öffneten sich, und die ganze Zeit starrte das Mädchen Julia wie hypnotisiert an. Der Löffel wurde in den Mund geschoben, und sein Inhalt verschwand. Die Zuschauer warteten atemlos, ob es eine Schluckbewegung gab. Es gab sie.
Frances blickte zu ihrem Sohn hinunter und sah, dass er aus Sympathie ebenfalls schluckte.
»Weißt du«, sprach Julia weiter, während der Löffel neu gefüllt wurde, »ich bin deine Stiefgroßmutter. Ich erlaube nicht, dass meine Kinder und Enkel sich so töricht benehmen. Du musst mich verstehen, Sylvia …« Hinein mit dem Löffel – und schlucken. Und wieder machte Andrew eine Schluckbewegung. »Du bist ein sehr hübsches, gescheites Mädchen …«
»Ich bin schrecklich«, kam es aus den Kissen.
»Das glaube ich nicht. Aber wenn du beschlossen hast, schrecklich zu sein, dann wirst du schrecklich, und das erlaube ich nicht.«
Hinein mit dem Löffel, ein Schlucken.
»Zuerst sorge ich dafür, dass du wieder auf die Beine kommst, und dann gehst du zur Schule und machst deine Prüfungen. Danach besuchst du die Universität und wirst Ärztin. Mir tut es nämlich leid, dass ich nicht Ärztin geworden bin, aber du kannst an meiner Stelle Ärztin werden.«
»Das kann ich nicht. Das kann ich nicht. Ich kann nicht wieder zur Schule gehen.«
»Warum nicht? Andrew hat mir erzählt, dass du gut im Unterricht warst, bevor du töricht geworden bist. Und jetzt nimm die Tasse und trink den Rest allein.«
Die Beobachter atmeten kaum in diesem Moment der – Krise? Angenommen, Tilly-Sylvia verweigerte die Tasse mit der lebenspendenden Suppe und steckte sich wieder den Daumen in den Mund? Angenommen, sie machte den Mund fest zu? Julia drückte den Becher an die Hand, die jetzt nicht mehr das Tuch umklammerte, das das Mädchen umhüllte. »Nimm sie.« Die Hand zitterte, aber sie öffnete sich. Vorsichtig schob Julia den Becher in die Hand und schloss sie darum. Die Hand hob sich tatsächlich, die Tasse erreichte die Lippen, und diese flüsterten: »Aber das ist so schwer.«
»Ich weiß, dass das schwer ist.«
Während die zitternde Hand die Tasse an die Lippen hielt, stützte sie Julia. Das Mädchen nippte daran, schluckte. »Mir wird sicher schlecht«, flüsterte sie.
»Nein, wird es nicht. Hör auf, Sylvia.«
Wieder warteten Frances und ihr Sohn und hielten den Atem an. Sylvia musste gegen das Würgen ankämpfen, doch Julia sagte: »Hör auf!«, und dem Mädchen wurde nicht schlecht.
Jetzt kam Colin die Treppe von der »Jungen-Etage« herunter, und hinter ihm Sophie. Die beiden blieben stehen. Colin wurde leuchtend rot, und Sophie, die teils lachte, teils weinte, war offenbar kurz davor, wieder nach oben zu rennen. Aber stattdessen kam sie zu Frances, schloss sie in die Arme, sagte: »Liebe, liebe Frances«, und rannte lachend die Treppe hinunter.
»Es ist nicht so, wie du denkst«, sagte Colin.
»Ich denke gar nichts«, sagte Frances.
Andrew lächelte nur und behielt seine Meinung für sich.
Jetzt sah Colin die kleine Szene durch die Tür, begriff, was vorging, und sagte: »Schön für Grandma«, und sprang mit großen Schritten die Treppe hinunter.
Julia, die ihr Publikum nicht bemerkt hatte, erhob sich von dem Schemel und strich ihre Röcke glatt. »Ich komme in einer Stunde zurück und schaue nach, wie es dir geht«, sagte sie und nahm dem Mädchen den Becher ab. »Und dann gehst du mit hinauf in mein Badezimmer, und anschließend kannst du dir etwas Sauberes anziehen. Dann geht es dir sofort besser, du wirst sehen.«
Sie nahm die Tasse mit der kalten Schokolade, die Frances in der vergangenen Nacht stehen gelassen hatte, kam aus dem Zimmer und reichte sie ihr. »Ich glaube, das ist deine«, sagte sie. Und dann zu Andrew: »Und du solltest auch aufhören, töricht zu sein.« Sie ließ die Zimmertür offen stehen und ging die Treppe hinauf. Ihr
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