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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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nicht, was ich machen würde, wenn ich nicht herkommen könnte.«
    Frances seufzte. Es war Zeit für ihren Artikel.
    Sie legte die Briefe über den Ladendiebstahl weg und wandte sich einem anderen Thema zu: »Liebe Tante Vera, ich mache mir solche Sorgen, ich weiß gar nicht, was ich tun soll.« Ihre Tochter, fünfzehn Jahre alt, hatte Sex mit einem achtzehnjährigen Jungen. »Diese jungen Leute, sie denken, sie sind die Jungfrau Maria und ihnen kann das nicht passieren.« Sie riet der besorgten Mutter, für ihre Tochter Verhütungsmittel zu besorgen. »Gehen Sie zu Ihrem Hausarzt«, schrieb sie. »Die jungen Leute fangen viel früher sexuelle Beziehungen an als wir. Fragen Sie nach der neuen Antibabypille. Aber Sie müssen trotzdem auf der Hut sein. Nicht alle Teenager sind verantwortungsbewusst, und die neue Pille muss regelmäßig eingenommen werden, jeden Tag.«
    So kam es, dass Frances’ erster Artikel Stürme moralischer Entrüstung hervorrief. Es kamen bündelweise Briefe von verängstigten Eltern, und Frances ging davon aus, dass man sie feuern würde, aber Julie Hackett freute sich. Frances tat das, wofür man sie eingestellt hatte, wie man es erwarten konnte von jemandem, der mutig genug war, um die Carnaby Street eine schäbige Illusion zu nennen.
     

Die Flüchtlinge, die in Wellen nach London gespült wurden – die einen waren vor Hitler und die anderen vor Stalin geflohen –, waren bettelarm. Viele sahen abgerissen aus und lebten, so gut es ging, von einer Übersetzung hier, von einer Buchkritik oder Sprachkursen da. Sie arbeiteten als Pförtner im Krankenhaus, auf Baustellen, als Haushaltshilfe. Es gab ein paar Cafés und Restaurants, die zwar ärmlich waren, aber ihrem nostalgischen Bedürfnis entsprachen, einfach dazusitzen und Kaffee zu trinken und über Politik und Literatur zu reden. Sie kamen von Universitäten aus ganz Europa und waren Intellektuelle, ein Wort, das unter Garantie Wellen des Misstrauens in der Brust der fremdenfeindlichen, kulturlosen Briten emporschlagen ließ. Für sie war es ziemlich erschütternd, erkennen zu müssen, dass die Neulinge so viel besser ausgebildet waren als sie selbst. Ein Café im Besonderen servierte diesen sturmgetriebenen Immigranten, die bald auf unterschiedliche Weise der einheimischen Kultur zu Glanz und Bedeutung verhelfen sollten, Gulasch und Knödel, kräftige Suppen und andere nahrhafte Gerichte. Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre waren sie Lektoren geworden, Schriftsteller, Journalisten, Künstler, auch ein Nobelpreisträger war dabei. Wenn ein Fremder das Cosmo betrat, musste er glauben, dass es das schickste Café im Norden von London war, denn alle trugen die aktuelle Uniform des Nonkonformismus: Rollkragenpullover und teure Jeans, Mao-Jacken und Lederjacken, Zottelhaare oder die allseits beliebte Römischer-Kaiser-Frisur. Es gab auch ein paar Frauen in Miniröcken, die meistens jemandes Freundin waren und der attraktiven ausländischen Lebensweise frönten, während sie den besten Kaffee in London tranken und von Wien inspirierte Sahnetorte aßen.
    Frances hatte angefangen, zum Schreiben ins Cosmo zu gehen. Auf der Etage des Hauses, die, wie sie bisher geglaubt hatte, ihr gehörte und vor der Invasion sicher war, saß sie jetzt und lauschte auf Julias oder Andrews Schritte. Beide besuchten Sylvia, um ihr eine Tasse mit irgendetwas zu bringen, und sie wollten unbedingt, dass ihre Tür offen stand, weil das Mädchen sich hinter geschlossenen Türen fürchtete. Und Rose schlich im Haus herum. Einmal war Frances hereingekommen, als sie in den Papieren auf ihrem Schreibtisch herumschnüffelte, und Rose hatte gekichert und fröhlich »Ach, Frances« gesagt und war hinausgerannt. Sie war in Julias Zimmern erwischt worden, von Julia. Sie stahl nicht, oder nicht oft, aber sie war von Natur aus ein Spitzel. Julia sagte zu Andrew, dass man Rose bitten solle, zu gehen, und dieser gab es an Frances weiter. Frances, die erleichtert war, weil sie das Mädchen nicht mochte, sagte Rose, es sei an der Zeit, dass sie zu ihrer Familie zurückkehre. Zusammenbruch von Rose. Aus dem Souterrain, wo Rose hauste (»Das ist
meine
Bude«), wurde berichtet, dass Rose im Bett lag und weinte und offenbar krank war. Die Lage hatte sich verändert, und Rose erschien wieder am Esstisch, herausfordernd, wütend, aber versöhnlich.
    Man hätte streiten können, ob es nicht ein wenig pervers war, sich über diese geringfügigen Störungen im Haus zu beklagen und

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