Ein süßer Traum (German Edition)
dann zu beschließen, in einer Ecke des Cosmo zu sitzen, das immer von Debatten und Diskussionen widerhallte. Die Gespräche, die man hörte, sollten revolutionär klingen. All diese Leute waren auf irgendeine Weise revolutionär, auch wenn sie vor den Folgen der Revolution geflohen waren. Fast jeder repräsentierte eine Phase des
Traums
. Stundenlang konnten sie darüber streiten, was bei dieser und jener Versammlung 1905 oder 1917 in Russland vorgefallen war oder in Berchtesgaden oder als die deutschen Truppen in der Sowjetunion einmarschierten oder was 1940 der Stand der Dinge auf den rumänischen Ölfeldern war. Sie stritten über Freud und Jung, über Trotzki, Bucharin, über Arthur Koestler und den Spanischen Bürgerkrieg. Und Frances, deren Ohren sich fest schlossen, wenn Johnny zu einer seiner Tiraden ansetzte, fand das alles ziemlich erholsam, auch wenn sie nicht bewusst zuhörte. Es stimmt, dass man in einem geräuschvollen Café voller Zigarettenrauch (damals eine unentbehrliche Begleiterscheinung intellektueller Tätigkeit) ungestörter ist als in einem Zuhause, wo Einzelne zum Plaudern hereinkommen. Andrew gefiel es dort, ebenso Colin. Sie sagten, es habe eine gute Energie, ganz zu schweigen von den positiven Schwingungen.
Johnny besuchte das Cosmo oft, aber bald war er in Kuba, also war sie in Sicherheit.
Frances war nicht die Einzige vom
Defender
. An einem Tisch saß ein Kollege, der politische Artikel schrieb und den Julie Hackett folgendermaßen vorgestellt hatte: »Das ist unser Obersektierer Rupert Boland. Er ist ein Eierkopf, aber gar nicht so übel, obwohl er ein Mann ist.«
Er war niemand, den man in anderer Umgebung sofort bemerkt hätte, aber hier fiel er auf, denn er trug einen ziemlich langweiligen braunen Anzug und eine Krawatte. Frances fand, dass er ein angenehmes Gesicht hatte. Genauso wie sie schrieb er einen Artikel oder machte sich mit einem Kugelschreiber Notizen. Sie lächelten sich zu und nickten, und in diesem Moment sah sie, wie ein hochgewachsener Mann in einer Mao-Jacke aufstand, um zu gehen. Lieber Gott, das war Johnny. Er warf sich einen langen Fellmantel über, blau gefärbt, der letzte Schrei in der Carnaby Street, und ging hinaus. Und da, ein paar Tische weiter, saß Julia und versuchte offenbar, nicht gesehen zu werden (vermutlich von Johnny). Sie unterhielt sich mit … das war sicher ein enger Freund. Ihr Freund? Erst kürzlich hatte Frances sich vor Augen geführt, dass Julia nicht weit über sechzig war. Aber nein, Julia konnte keine Affäre haben (sie hätte wahrscheinlich das Wort
Liaison
benutzt), in einem Haus voller junger Leute, die alles beobachteten. Es war genauso lächerlich, wie es bei Frances gewesen wäre.
Als Frances das Theater aufgegeben hatte, wahrscheinlich für immer, hatte sie gespürt, dass sie damit die Tür vor jeder Romanze zuschlug, ebenso wie vor der ernsthaften Liebe.
Und Julia … Frances dachte, dass ihre Schwiegermutter bestimmt ziemlich einsam war, ganz allein da oben in diesem überfüllten, lärmenden Haus, wo die jungen Leute sie alte Frau nannten, nicht selten sogar alte Faschistin. Sie hörte im Radio klassische Musik und las. Aber manchmal ging sie auch aus, und offenbar kam sie hierher.
Julia trug ein mattblaues Kostüm und einen mauvefarbenen Hut mit dem obligatorischen winzigen Netzschleier. Ihre Handschuhe lagen auf dem Tisch. Ihr grauhaariger, gepflegter Gentleman-Freund war so elegant und altmodisch wie sie. Er stand auf und beugte sich über Julias Hand, wo seine Lippen in der Luft darüber innehielten. Sie lächelte und nickte, und als er ging, nahm ihr Gesicht einen stoischen Ausdruck an, wie Frances fand. Julia hatte eine Stunde lang die Freiheit genossen und würde jetzt nach Hause gehen oder vielleicht ein paar sparsame Einkäufe machen. Wer behielt Sylvia im Auge? Das hieß, dass Andrew zu Hause war. Frances war nicht mehr in seinem Zimmer gewesen, aber sie glaubte, dass er dort viele Stunden allein verbrachte, in denen er rauchte und las.
Es war Freitag. Sie konnte davon ausgehen, dass zu Hause die Stühle an diesem Abend dicht um den Tisch herumstehen würden. Es gab ein besonderes Ereignis, und alle wussten das, die ganze St.-Joseph’s-Bande, denn Frances hatte Colin angerufen und ihm erzählt, dass Sylvia zum Essen herunterkommen werde und ob er dafür sorgen könne, dass alle sie Sylvia nannten. »Und sag ihnen, sie sollen taktvoll sein, Colin.« – »Danke, dass du so wenig Vertrauen zu uns hast«,
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