Ein süßer Traum (German Edition)
hatte er geantwortet.
Inzwischen war aus seiner beschützenden Fürsorglichkeit Sophie gegenüber Liebe geworden, und man kannte die beiden im St. Joseph’s als Paar. »Ein Paar Turteltauben«, hatte Geoffrey großmütigerweise gesagt, denn eigentlich hätte er eifersüchtig sein müssen. Von Geoffrey konnte man erwarten, dass er sich wie ein Gentleman benahm, obwohl er in den Geschäften stahl … obwohl er ein Dieb war. Was man von Rose keineswegs behaupten konnte. Die Eifersucht auf Sophie sprach ihr aus den Augen und aus dem gehässigen Gesicht.
Liebe Tante Vera. Unsere beiden Kinder sagen, sie gehen nicht mehr in die Schule. Unser Sohn ist fünfzehn. Das Mädchen ist sechzehn. Sie haben schon monatelang geschwänzt, bevor wir davon erfuhren. Dann hat die Polizei uns gesagt, dass sie ihre Zeit mit irgendwelchen miesen Typen verbringen. Jetzt kommen sie kaum noch nach Hause. Was sollen wir machen?
Sophie hatte verkündet, sie werde nach Weihnachten nicht mehr zur Schule gehen, aber vielleicht überlegte sie es sich anders, um bei Colin zu sein. Er wiederum war nicht gut in der Schule und wollte seine Abschlussprüfung nicht machen, die im Sommer fällig war. Er sagte, Prüfungen seien dumm und er sei für die Schule zu alt. Er war achtzehn. Rose – nicht
ihre
Verantwortung – hatte »abgebrochen«. James auch. Sylvia war seit Monaten nicht mehr in der Schule gewesen. Geoffrey war gut in der Schule, immer gewesen, und es sah so aus, als würde er die Prüfung als Einziger ablegen. Daniel auch, weil Geoffrey es tat, aber er war nicht so gescheit wie sein Idol. Jill war öfter hier als in der Schule. Lucy vom Dartington Hall würde die Prüfung ablegen und glänzend bestehen, das war offensichtlich.
Frances selbst war als gehorsames Mädchen zur Schule gegangen, war pünktlich gewesen, hatte alle Examen bestanden und wäre zur Universität gegangen, wenn der Krieg und Johnny nicht dazwischengekommen wären. Wo lag eigentlich das Problem?, fragte sie sich. Sie hatte es nicht gerade genossen, zur Schule zu gehen, sondern darin einen notwendigen Prozess gesehen, den es zu durchlaufen galt. Sie musste eben ihren Lebensunterhalt verdienen, das war der Punkt. Darüber dachten diese jungen Leute offenbar niemals nach.
Jetzt schrieb sie den Brief, den sie gerne abgeschickt hätte, aber das würde sie natürlich nicht tun.
Liebe Mrs. Jackson, ich habe nicht den leisesten Schimmer, was ich Ihnen raten soll. Offenbar haben wir eine Generation aufgezogen, die davon ausgeht, dass das Essen einfach vom Himmel fällt, ohne dass man dafür arbeiten muss. Mit freundlichen Grüßen, Tante Vera.
Julia stand auf. Sie suchte ihre Tasche, ihre Handschuhe, eine Zeitung zusammen und nickte, als sie an Frances vorbeikam. Frances stand auf, um einen Stuhl für sie zurechtzuschieben, aber zu spät, Julia war schon fort. Wenn sie rechtzeitig reagiert hätte, hätte Julia sich gesetzt – sie hatte für einen kurzen Moment gezögert. Und dann hätte sie sich vielleicht endlich mit ihrer Schwiegermutter angefreundet.
Frances blieb sitzen, bestellte noch einen Kaffee, dann Suppe. Andrew hatte gesagt, dass man, wenn man Glück hatte und zur richtigen Zeit Gulaschsuppe bestellte, vom Dicken unten aus dem Topf bekam. Als ihr Gulasch kam, war es offensichtlich aus dem mittleren Teil des Topfes.
Sie wusste nicht, was sie als dritten Beitrag schreiben sollte. Im zweiten war es um Marihuana gegangen, und das war leicht gewesen. Der Artikel war kühl und informativ, weiter nichts, doch es kamen viele Briefe als Reaktion darauf.
Wie attraktiv sie alle waren, im Cosmo, diese Leute aus ganz Europa und inzwischen natürlich die Briten, die sich von ihnen angezogen fühlten. Viele waren Juden. Nicht alle.
Als eines von den »Kindern« fragte, ob Julia Flüchtling gewesen sei, hatte diese ihnen erklärt: »Ich bin in der unvorteilhaften Lage, eine Deutsche zu sein, die keine Jüdin ist.«
Schock und Empörung. Julias Faschistenstatus war bestätigt: Aber alle benutzten das Wort Faschist so leichthin, wie sie Fuck oder Scheiße sagten, und das bedeutete nicht unbedingt mehr, als dass ihnen etwas missfiel. Bei Julia bekomme sie eine Gänsehaut wie bei allen Deutschen, ließ Sophie sich vernehmen.
Julia hatte ihrerseits über Sophie bemerkt: »Sie ist schön, wie die jüdischen jungen Mädchen es eben sind, aber sie wird als alte Hexe enden, genau wie wir alle auch.«
Wenn Sylvia-Tilly zum Essen herunterkam, musste das Essen entsprechend
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