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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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»befreiten« Sachen bekam, aber jetzt erkannte er, dass das nicht der Fall war. Rose sagte: »Und das ist für Frances.« Es war ein Känguru mit einem Baby im Beutel. Sie hielt es hoch, sah sich grinsend um und erwartete Applaus, aber Geoffrey nahm es ihr weg, weil er ihr die Kritik an Frances verübelte. Franklin hingegen bewunderte das Känguru, für ihn war es ein wunderbares Kompliment an Frances, die ihnen allen eine Mutter war; er hatte Geoffreys Reaktion nicht verstanden und griff jetzt nach dem Plüschtier. Franklin saß da und nahm das Baby aus dem Beutel und steckte es wieder hinein.
    »Ihr könntet doch in Simlia ein paar Kängurus einführen«, sagte Johnny. Er hob sein Glas. »Auf die Befreiung von Simlia.«
    Franklin suchte zwischen den Trümmern auf dem Tisch nach einem Glas, hielt es Rose hin, damit sie es füllte, und trank: »Auf die Befreiung von Simlia.«
    Solche Witze waren zugleich aufregend für ihn und machten ihm Angst. Er wusste alles über den schrecklichen Krieg in Kenia: Sie hatten ihn in der Schule »gehabt«, und er konnte nicht verstehen, warum Johnny – oder vielmehr die Lehrer im St. Joseph’s – so erpicht darauf waren, dass Simlia einen Krieg durchmachte. Aber weil er jetzt nach dem Essen und Trinken und wegen des Kängurus glücklich war, trank er noch einmal auf Dereks Toast: »Auf die Revolution«, während er sich fragte, welche Revolution und wo.
    Dann sagte er: »Das schenke ich Frances«, und war schon halb die Treppe hinaufgestiegen, als ihm einfiel, dass es gestohlen war und dass Frances ihn an diesem Morgen ausgeschimpft hatte. Aber er wollte nicht mit dem Känguru zurück in die Küche gehen, also landete es schließlich bei Sylvia, die ein großes, vollgeladenes Tablett hinauf zu Julia trug.
    »Ach, wie schön«, sagte sie, als Franklin ihr das Känguru unter den Arm schob, weil sie keine Hand frei hatte. Aber sie stellte das Tablett auf dem Treppenabsatz ab und bewunderte das Känguru. »Ach, Franklin, das ist so hübsch.« Und sie küsste und umarmte ihn so fest, dass er sein Glück kaum fassen konnte.
    Im Wohnzimmer waren jetzt Andrew, der ausgestreckt und mit den Händen auf dem Bauch in einem Sessel schlief, sowie Colin und Sophie auf dem Sofa, die Arme umeinander geschlungen, beide schlafend.
    Franklin stand da und schaute sie an, und wieder sank sein Herz. Er fand all das verwirrend. Er wusste, dass Colin und Sophie »befreundet« gewesen waren, aber jetzt nicht mehr, und dass Sophie einen »Freund« hatte, der zu Weihnachten zu seiner eigenen Familie gefahren war. Warum lagen die beiden sich dann in den Armen und warum hatte Sophie den Kopf an Colins Schulter gelehnt? Franklin hatte noch nicht mit einem Mädchen geschlafen. In der Mission gab es keine Mädchen, und die Jungen wurden von den Patres nicht aus den Augen gelassen. Zu Hause bei seinen Eltern war es das Gleiche. Wenn er zu Besuch bei seinen Großeltern war, neckte er die Mädchen und machte Scherze mit ihnen, aber weiter nichts.
    Wie so viele Neuankömmlinge in Großbritannien war Franklin von Anfang an verwirrt gewesen: Zuerst dachte er, dass es überhaupt keine Moral gab, vermutete aber dann, dass es doch so etwas geben musste. Aber was für eine? Im St. Joseph’s schliefen Jungen und Mädchen miteinander, das wusste er, zumindest hatte es den Anschein. Auf der Wiese hinter der Schule lagen die Paare zusammen im Gras, und Franklin hörte einsam ihrem Gelächter zu und, was schlimmer war, ihrem Schweigen. Er hatte das Gefühl, dass die weiblichen Wesen auf dieser Insel für jeden zu haben waren, auch für ihn, wenn er nur die richtigen Worte fand. Einmal jedoch hatte er gesehen, wie ein Junge aus Nigeria kurz nach seiner Ankunft im St. Joseph’s zu einem Mädchen gegangen war und gesagt hatte: »Kann ich heute Abend in dein Bett kommen, wenn ich dir etwas Schönes schenke?« Sie hatte ihn so fest geohrfeigt, dass er das Gleichgewicht verlor. Franklin hatte sich in Gedanken ähnliche Worte zurechtgelegt, mit denen er sein Glück versuchen wollte. Dasselbe Mädchen, das jemanden geohrfeigt hatte, sah er kurz darauf auf dem Bett mit einem Jungen schmusen, der ein Zimmer auf demselben Gang hatte. Sie ließen die Tür offen stehen, damit alle sie sehen konnten, doch niemand nahm Notiz von ihnen.
    Er stieg die Treppe wieder hinunter und blieb an der Tür zur Küche stehen, in der Johnnys Vorlesung über die Guerilla-Taktik zur Zerstörung des imperialistischen Militärgefüges so ähnlich klang

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