Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
munter, aber auch förmlich, als würde sie aus einem Buch mit alten Geschichten lesen, während Wilhelm Stein zuhörte und nickte, um zu bestätigen, was sie sagte.
    »Ja«, sagte er in ein Schweigen hinein. »Jaja. Julia, meine Liebe, wir müssen zugeben, dass die Zeiten sich geändert haben.«
    Von unten konnte man Johnny hören, der energisch mit dem Dramatiker debattierte. Geoffrey, der beinahe eingeschlafen und vornübergekippt wäre, stand auf und verließ mit einer Entschuldigung den Raum, gefolgt von James. Scham kam über Frances, aber sie war froh, dass sie gegangen waren, denn zumindest konnte man sich darauf verlassen, dass die Mädchen nicht einnickten, während sie dasaßen und ihre hübschen Teetassen hielten, als hätten sie noch nie etwas anderes getan. Bis auf Rose natürlich, die allein in einer Ecke saß.
    »Ich glaube, wir sollten die Fenster …« Julia hatte kaum zu sprechen begonnen, als Sylvia auch schon aufstand, um sie zu schließen und die schweren Vorhänge zuzuziehen – gefütterter und gesteppter Brokat, der nach sechzig Jahren zu einem grünlichen Blau verblasst war, neben dem Frances’ Blau gewöhnlich wirkte. Rose hatte damit gedroht, die Vorhänge herunterzureißen und sich ein Kleid zu machen »wie das von Scarlett O’Hara«, und als Sylvia einwandte: »Aber, Rose, das würde Julia sicher nicht gefallen«, hatte sie erwidert: »Du verstehst keinen Spaß, du hast keinen Sinn für Humor.« Womit sie nicht ganz unrecht hatte.
    Andrew sagte, er wisse, dass sie alle berauschte Barbaren seien, dass Julia ihnen aber vergeben würde, wenn sie die Mahlzeit gesehen hätte, die gerade vertilgt worden sei.
    Stollen und Christmas Cake lagen in unberührten Scheiben auf den zarten grünen Tellern mit den rosa Rosenknospen.
    Ein Lachanfall von unten. Julia lächelte ironisch. Sie lächelte, aber in ihren Augen standen Tränen. »Ach, Julia«, gurrte Sylvia sanft, ging zu ihr und nahm sie in die Arme, sodass ihre Wange auf der silbrigen Kappe aus Wellen und kleinen Locken lag. »Uns schmeckt dein schöner Tee so gut, aber wenn du nur wüsstest …«
    »Ja, ja, ja«, sagte Julia. »Ja, ich weiß.« Sie stand auf. Wilhelm Stein erhob sich ebenfalls, legte den Arm um sie und tätschelte ihre Hand. Die beiden distinguierten Leute standen zusammen mitten im Zimmer, das einen sehr guten Rahmen für sie abgab, und dann sagte Julia: »Nun, Kinder, jetzt glaube ich, ist es genug«, und ging an Wilhelms Arm hinaus.
    Eine Weile rührte sich niemand, dann reckten Andrew und Colin die Arme und gähnten. Sylvia und Sophie fingen an, das Teegeschirr einzusammeln, während Rose, Franklin und Lucy sich zu der lebhaften Gruppe in der Küche gesellten. Frances rührte sich nicht.
    Johnny und Derek saßen an den entgegengesetzten Enden des Tisches und hielten eine Art Seminar ab. Johnny las Passagen aus
A Revolution Handbook
vor, das er geschrieben und in einem respektablen Verlag veröffentlicht hatte, und es brachte gutes Geld ein. Ein Rezensent hatte geschrieben: »Das hat das Zeug dazu, jahrelang ein Bestseller zu sein.«
    Derek Careys Beitrag zum Wohlergehen der Nationen bestand darin, dass er die jungen Leute bei jeder Versammlung dazu anhielt, Volkszählungsformulare falsch auszufüllen, jeden offiziellen Brief zu zerreißen, der ihnen begegnete, als Postboten oder im Postamt zu arbeiten und Briefe zu vernichten und so viele Ladendiebstähle wie möglich zu begehen. Jedes kleine bisschen helfe dabei, einen Unterdrückerstaat wie Großbritannien zu stürzen. Bei der letzten Wahl waren sie angewiesen worden, die Wahlzettel ungültig zu machen und beleidigende Bemerkungen darauf zu schreiben, wie zum Beispiel: Faschist! Jetzt beschrieben Rose und Geoffrey, die sich in dieser aufregenden Gesellschaft hervortun mussten, ihre letzte Einkaufsexpedition. Dann rannte Rose nach unten, kam mit Tragetüten voller gestohlener Geschenke zurück und fing an, sie zu verteilen: größtenteils Stofftiere, Plüschtiger, Pandas und Bären, aber es gab auch eine Flasche Brandy – die sie Johnny reichte – und eine mit Armagnac, die Derek bekam. »Klasse Stoff, Genossin«, sagte Derek mit einem Genossen-Zwinkern, das Rose, die nach Komplimenten schmachtete, in der Seele traf; es war wie ein Orden für eine Leistung. Und Johnny grüßte sie mit geballter Faust. Niemand hatte sie je so glücklich gesehen.
    Franklin war bedrückt, denn er hätte Frances so gerne etwas geschenkt. Er hatte erwartet, dass er etwas von den

Weitere Kostenlose Bücher