Ein süßer Traum (German Edition)
ihr blicken.«
»Du weißt genauso gut wie ich, dass Phyllida sie immerzu anschreit. Und außerdem musst du sowieso Julia fragen.«
»Das alte Miststück. Die ist doch gaga.«
»Nein, Johnny, sie ist nicht gaga. Und du beeilst dich lieber, gleich ist nämlich Teegesellschaft.«
»Teegesellschaft?«, sagte der Genosse aus Hull. »Oh, lecker. Leckerlecker Weingummis.« Er saß schwankend da, goss Wein in ein Glas, das schon halb voll war, sagte: »Entschuldigt mich«, und schlief im Sitzen ein. Sein Mund stand offen.
Frances konnte oben im Wohnzimmer Stimmen hören – Johnnys, die seiner Mutter. »Dummer Idiot«, hörte sie von Julia, und schon kam Johnny wieder die Treppe hinunter, wobei er mehrere Stufen auf einmal nahm, und trat in die Küche. Ungewohnterweise war er durcheinander und nervös. »Ich habe ein Recht auf eine Frau, die eine echte Genossin ist«, sagte er zu Frances. »Ausnahmsweise werde ich ein Mal in meinem Leben eine Frau haben, die mir ebenbürtig ist.«
»Das hast du auch von Maureen behauptet, weißt du noch? Ganz zu schweigen von Phyllida.«
»Absurd«, sagte Johnny. »Das kann gar nicht sein.«
Jetzt kam der Dramatiker zu sich und sagte: »Mal kurz außer Gefecht« – und schlief wieder ein.
Sophie erschien und sagte, die Teegesellschaft habe begonnen.
»Ich lasse euch jetzt allein die Sünden der Welt bekämpfen«, sagte Frances und ließ die Männer allein.
Zuerst ging sie in ihr Zimmer, zog ein neues Kleid an und kämmte sich das Haar, und als sie nach dieser Verwandlung in den Spiegel blickte, fiel ihr ein, dass man sie zu ihrer Zeit eine gut aussehende Blondine genannt hatte. Auf der Bühne war sie eine schöne Erscheinung gewesen. Und an jenem Wochenende mit Harold Holman, das nun schon eine Ewigkeit her zu sein schien, hatte sie sich schön gefühlt.
Anfang Dezember war Julia herunter in Frances’ Zimmer gekommen, und sie hatte verlegen gewirkt – ganz untypisch für sie. »Frances, ich möchte nicht, dass du es mir übel nimmst …« Sie hielt ihr einen ihrer dicken weißen Briefumschläge hin, auf dem in ihrer schönen Handschrift stand:
Frances
. Es waren Geldscheine darin. »Mir ist keine nette Art eingefallen, dir das zu geben … Aber ich würde mich so freuen … Geh doch zum Friseur und kauf dir zu Weihnachten ein gutes Kleid.«
Frances trug ihr Haar am liebsten glatt gekämmt mit einem Scheitel, aber dem Friseur (natürlich nicht Evansky oder Vidal Sassoon, wo nur der aktuelle Stil geduldet wurde) gelang ein Schnitt, der aussah wie der letzte Schrei. Und sie hatte mehr für ein Kleid bezahlt als je zuvor in ihrem Leben. Gar nicht daran zu denken, es zum Weihnachtsessen anzuziehen, wo sie die meiste Zeit in der Küche stand, aber jetzt betrat sie das Wohnzimmer so selbstbewusst wie ein junges Mädchen und nahm die Komplimente entgegen. Colin machte sogar eine kleine Verbeugung, als er aufstand, um ihr seinen Stuhl anzubieten. Kleider machen Leute. Und noch jemand bewunderte sie ausdrücklich. Julias distinguierter Wilhelm stand auf, beugte sich über ihre Hand – der wohl immer noch ein Küchengeruch anhaftete – und küsste die Luft darüber.
Julia nickte und lächelte zur Gratulation.
»Du verwöhnst mich, Julia«, sagte Frances, und ihre Schwiegermutter antwortete: »Meine Liebe, ich wünschte, du könntest erleben, was es wirklich heißt, geliebt und verwöhnt zu werden.«
Julia schenkte Tee aus einer silbernen Teekanne ein, und Sylvia, ihre Zofe, reichte Stollenscheiben und den schweren Christmas Cake herum. Auf ihren Stühlen hatten Geoffrey und James, Colin und Andrew mit dem Schlaf zu kämpfen. Franklin sah zu, wie Sylvia umhertrippelte, als wäre sie durch Zauberei ganz plötzlich erschienen. Wilhelm, Frances, Julia und die drei Mädchen Sophie, Lucy, Sylvia machten Konversation.
Ganz ungetrübt war die Atmosphäre nicht; die Fenster standen immer noch offen, mitten im Winter. Frisch, kalt und dunkel war es außerhalb des muffigen Raums, in dem Julia saß und, wie alle wussten, daran dachte, wie sie hier Botschafter und Politiker empfangen hatte. »Und einmal sogar den Premierminister.« In einer Ecke lagen ein wirrer Haufen Schlafsäcke und eine Weinflasche, die übersehen worden war.
Julia trug ein graues Kostüm aus Veloursamt mit Spitze und an den Ohren und am Hals Granatsteine, die wie ein Vorwurf blitzten. Sie erzählte ihnen von Weihnachten zu ihrer Zeit, als sie ein Mädchen war, in ihrem Elternhaus in Deutschland, und sprach
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