Ein süßes Abenteuer
wenn Ihre Irre Ladyschaft – so lautete Lady Leominsters Spitzname – ziemlich grob werden konnte und häufig dummes Zeug von sich gab, sagte sie wenigstens immer unverblümt ihre Meinung. Allein dadurch hob sie sich von den meisten anderen Damen ab. Und aus irgendeinem Grund behauptete sie trotz ihrer scharfen Zunge ihre führende Rolle in der Gesellschaft. Wahrscheinlich genoss sie eben wegen ihrer exzentrischen Art eine gewisse Narrenfreiheit. Diana nahm sich vor, diese Frage bei Gelegenheit mit Neville zu erörtern. Hoffentlich würden sie einander bald wiedersehen!
Bis kurz vor Mitternacht unterhielt Neville sich noch mit den wenigen Gästen, die sich dazu herabließen, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Dann beschloss er, nach Hause zu gehen, zumal er ohnehin keine interessanten Neuigkeiten erfahren hatte. In der Eingangshalle begegnete er Lord Burnside.
“Ah, Fortescue, das freut mich aber! Ich hatte gehofft, dass Sie heute Abend kommen würden. Wissen Sie, ich persönlich glaube, dass es irgendeine vernünftige Erklärung für Ihre Eskapade von neulich gibt. Mit Verlaub, ausschweifende Trinkgelage sehen Ihnen nun wirklich nicht ähnlich. Und falls Sie einfach in einem schwachen Augenblick der Versuchung nachgegeben haben, würde ich immer noch hinter Ihnen stehen. Wenn nur Ihre politische Laufbahn nicht unter diesem Skandal leidet!”
Für einen Moment rang Neville nach Worten. Da die meisten Gäste auf dieser Soiree ihm die kalte Schulter gezeigt hatten, tat die Freundlichkeit dieses Mannes ihm besonders wohl.
“Vielen Dank, Mylord. Ich kann nur hoffen, dass eines Tages die ganze Wahrheit ans Licht kommt. Dann würde sich zeigen, dass Sie sich nicht in mir geirrt haben.”
Große Worte, aber Lord Burnsides Güte hatte ihn nun einmal unerwartet tief berührt. Bald darauf verabschiedeten sie sich voneinander.
Als Neville aufbrechen wollte, trat ihm Henry Latimer in den Weg. “Hallo, Fortescue. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, über welchen frischen Skandal sich heute alle Gäste den Mund zerreißen. Es würde mich nicht wundern, wenn man noch tagelang darüber tratscht.”
Sein spöttischer, geradezu beleidigender Ton verärgerte Neville sehr, doch ehe er etwas erwidern konnte, fuhr Latimer fort: “Bist du mit Burnside verwandt? Du siehst ihm sehr ähnlich.”
“Verwandt? Nein”, entgegnete Neville steif. “Und was die Ähnlichkeit betrifft, musst du dich wohl irren.”
“Nein, keineswegs. Auch deine Stimme und dein Auftreten erinnern an ihn. Schon merkwürdig.”
Was sollte Neville darauf antworten? Etwa: Durchaus nicht, heutzutage klingen in unseren Kreisen doch alle Leute gleich? Das stimmte zwar nicht ganz, aber es dürfte Latimer zum Schweigen bringen. Dieser wechselte jedoch von sich aus das Thema und begann zu erzählen, dass Frank Hollis um die Hand einer reichen Erbin anhalten wollte.
“Natürlich nicht die Duchess of Medbourne. Wer könnte schon hoffen, sie zu erobern? Wenn ich es recht bedenke, frage ich mich, weshalb wir alle so besessen um sie werben. Wer diesen Wildfang heiratet, wird es sicher nicht leicht haben. Also dann, alter Junge, jetzt muss ich gehen und ihr meine Aufwartung machen. Wer weiß, vielleicht gewinne ich ja doch noch ihre Gunst, genau wie du – obwohl ich das bezweifle.”
Wütend sah Neville ihm hinterher. Dieser Schuft hatte nicht nur ihn selbst angegriffen, sondern auch seine Freunde, denn als solche betrachtete er Lord Burnside und Diana inzwischen. In seiner Kindheit hatte auch Henry Latimer zu seinen Freunden gezählt, doch je älter sie wurden, desto weniger konnte er diesen oberflächlichen Blender leiden.
Am Nachmittag nach der Soiree zog sich Diana in ihren Salon zurück, um ein neues philosophisches Werk zu lesen. Mitten in ihrer Lektüre kam Isabella hereingerauscht, die unerwartet früh von einem Spaziergang mit Freunden zurückgekehrt war.
“Also wirklich, Diana, ich empfinde es als eine Zumutung, dass halb London mich wegen deines ungehörigen Benehmens aufzieht!”
Selbst ohne Ablenkung fiel es Diana nicht leicht, den komplizierten Gedankengängen des Philosophen zu folgen. Wenn Isabella ihr nun mit ihren Klagen in den Ohren lag, würde sie sich erst recht nicht auf dieses beachtliche Werk konzentrieren können.
“Ich habe keine Ahnung, wovon du redest”, erwiderte sie kühl.
“Ach nein? Die ganze Stadt weiß schon über dein langes Tête-à-Tête mit Sir Neville Fortescue auf Lady Leominsters Soiree Bescheid. Vor den Augen
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