Ein sueßes Stueck vom Glueck
allzu gern gefangen nehmen ließ, doch sie schien vielmehr erbost zu sein. Er hörte noch das Geräusch, mit dem sie die leere Tasse auf dem Marmor absetzte; es klang wie ein Riegel, der zugeschoben wurde.
Wenn er sie verloren hatte und das sein eigener blöder Fehler gewesen war … ça serait vraiment, vraiment con .
Da klingelte sein Telefon.
Ihr Handy brummte und brummte und brummte; es machte sie ganz verrückt, so als ob sie fortwährend von einer Biene gestochen würde, bis es sie endgültig aus dem Schlaf riss. Einem so glücklichen, selbstvergessenen Schlaf.
Sie schaute das Handy an, sah die Menge verpasster Anrufe von ihrem Vater und ihrem Großvater und sogar von Jaime, dann rieb sie sich über das Gesicht und wechselte zu den E-Mails. Ihr Postfach quoll schon über und rief immer noch eine Benachrichtigung nach der anderen ab. Du liebe Zeit. Was hatte Sylvain Marquis bloß gemacht, um so viel Aufmerksamkeit zu erregen?
Sie schaute sich die erste Mail an, eine knappe Zusammenfassung der New-York-Times -Webseite, und entdeckte nicht nur Sylvains Namen, sondern auch ihren – und den Zusatz Diebin .
Das war ein so heftiger Schlag in die Magengrube, dass sie sich beinahe auf der Stelle übergeben hätte.
Ihr Telefon summte weiter, wie ein Bienenstock außer Rand und Band.
Sie stand auf, ging ins Bad und beugte sich über die Kloschüssel, so lange, bis sie einigermaßen sicher war, dass sie nicht die Reste der heißen Schokolade von gestern Nacht wieder von sich geben würde. Dann ging sie zurück und sah die wichtigsten Meldungen durch. Dann ging sie wieder ins Bad und hing noch einmal eine Weile über der Kloschüssel. Wieder ging sie zurück, öffnete den neuen Laptop, den sie am Nachmittag zuvor gekauft hatte, und verbrachte zwanzig Minuten damit, Skype zum Laufen zu bringen, ehe sie Rede und Antwort stehen konnte.
Ihr Vater – unrasiert, das graue Haar vom Schlaf verwuschelt und sich noch die Müdigkeit aus den blauen Augen reibend – war kaum in der Lage, Wörter zu bilden: »Ich habe gerade … ich kann noch nicht … hast du den Verstand verloren? Cade – wieso? Wir haben für so etwas doch unsere Leute.«
»Du solltest dich doch nicht erwischen lassen«, merkte ihr Großvater über seine Schulter hinweg an. Er war schlanker als sein untersetzter Sohn, voller Falten und weißhaarig und so munter, als sei er schon seit Stunden auf den Beinen. Wahrscheinlich war dem auch so. Er schlief nachts immer nur wenige Stunden. Seine blauen Augen waren blasser als ihre, Cades, oder die von Mack, ihrem Vater; sie waren mit dem Alter heller geworden, aber sie strahlten bei jedem seiner Worte immer noch große Zuversicht und den für ihn typischen Frohsinn gegenüber dem Auf und Ab des Weltgeschehens aus. »Ich habe dir doch gesagt, dass du dich nicht in eine Lage bringen sollst, in der sie dir hinterherschnüffeln.«
»Wann fliegst du zurück?«, fragte ihr Vater.
Sie runzelte die Stirn und betrachtete intensiv ihren Daumennagel. »Gar nicht. Noch nicht.«
Schweigen. Wegen der verzögerten Übertragung saß ihr Vater einfach nur da und sah sie an. »Warum nicht? Wie viel Schaden willst du noch anrichten? Cade, ich muss hier Anfragen vom Wall Street Journal beantworten. Ich habe eine zusätzliche politische Spende geleistet, für den Fall, dass wir dich aus einem französischen Gefängnis rausholen müssen. Cade, du bist doch nicht Jaime!«
Ja, und irgendwie hatte Jaime schon immer tun können, was sie wollte, wo auch immer in der Welt. Protestieren beim G8-Gipfel, von Tränengas getroffen auf den Titelseiten als Aushängeschild des Anti-Kapitalismus, dazu die Rucksacktouren im Ausland, während Cade schon als Teenager für Corey gearbeitet hatte. Jaime hatte sich sogar komplett aus der Firma zurückgezogen und war ihrem Herzen gefolgt, und ihr Vater und Cade selbst hatten Jaime zur Belohnung alles hinterhergeschmissen, was sie wollte, alles, wie zum Beispiel eine Corey-Stiftung für ihre Kakaoplantagen-Arbeit. Cade kam ein Gedanke: Wenn sie als Teenager nur einmal den Mumm gehabt hätte, mit einem Protest gegen eine Welthandelsorganisation auf die Titelblätter zu kommen, dann wäre sie jetzt genauso frei wie ihre Schwester. Frei, jedem Traum nachzugehen, der ihr in den Sinn kam. Ha, und vielleicht säße dann Jaime da, mit der ganzen Corey Chocolate im Nacken und würde darüber jammern, dass ihre ältere Schwester sie im Stich ließ.
»Weißt du, Frankreich wird wegen eines einfachen Einbruchs
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