Ein sueßes Versprechen
Laterne des Burgführers von undurchdringlicher Finsternis verschluckt. Er verlangsamte seine Schritte und verließ die letzte Stufe. Loretta kam unten an und tat es ihm nach, trat auf staubigen Felsboden. Die Luft um sie herum roch nach feuchtem Stein, auch wenn alles, was sie sehen konnte, trocken zu sein schien.
Der junge Mönch hob die Lampe hoch und ließ das Licht über die Wände in einer langgezogenen ovalen Kammer gleiten.
»Das ist der Haupteingang zu dem Labyrinth – es gibt noch weitere, aber die liegen ein Stück entfernt.« Er deutete auf die schwarzen Löcher in der Mauer. Loretta zählte acht davon. »Dies sind die Gänge. Es heißt, wer dumm genug ist, das Labyrinth zu betreten, wird nie wieder gesehen.« Er zuckte die Achseln und ging zu einem, leuchtete mit dem Licht hinein. »Das sagt man, aber wir wissen es nicht sicher, denn niemand hat in jüngster Zeit versucht, das Geheimnis des Labyrinths aufzudecken.«
Loretta unterdrückte einen Schauer. Der Raum war wunderbar schaurig. Sie sah sich um, prägte sich so viel wie möglich ein – das Gefühl von Altehrwürdigkeit und Jahrhunderten Zeit, die rau behauenen Wände, die unheimliche Stille um sie herum. Die beinahe greifbare Versuchung, einen Schritt nach vorn zu machen und einen der Tunnel zu betreten – nur ein wenig, um zu sehen …
»Ich denke, wir haben genug gesehen.«
Die leisen Worte streiften ihr Ohr. Erschrocken schaute sie auf – Carstairs stand dicht neben ihr.
So dicht, dass sie zu atmen aufhörte. In dem dämmerigen Licht konnte sie nicht in seinen Augen lesen, aber sie konnte die Hitze, die er ausstrahlte, in ihrem Rücken spüren, das Prickeln ihrer Haut und die Wärme, die danach noch in ihr war.
Ohne es verhindern zu können, richtete sie ihren Blick auf seine Lippen. Einen Augenblick lang war alles, was sie hörte, das Klopfen ihres Herzens, während eine Welle des Schwindels sie erfasste …
Sie holte tief Luft, hob den Blick zu seinen Augen, dann versteifte sie sich und machte einen Schritt nach hinten.
Als ihr wieder einfiel, was er gesagt hatte, nickte sie knapp.
»Allerdings.« Mit kräftigerer Stimme wandte sie sich an den Führer. »Danke. Ich habe alles gesehen, was ich mir anschauen wollte.«
Der Mönch ging zur Treppe voraus und begann den Aufstieg zurück nach oben. Loretta folgte; Rafe bildete das Schlusslicht. Er war dankbar, dass er, da der junge Gelehrte vorn die Laterne trug, nicht wirklich erkennen konnte, wie Loretta Michelmarshs Hüften von der einen zur anderen Seite schwangen.
Es war eine lange Treppe. Sie hochzusteigen dauerte länger als hinab. Er hatte reichlich Zeit, über seine momentane Besessenheit nachzudenken.
Nachdem er sich damit abgefunden hatte, dass er wohl oder übel bis nach England den Reisemarschall für Loretta und Esme würde spielen müssen, hatte er in der vergangenen Nacht lange wach im Bett gelegen und sich darüber geärgert, dass er so dumm war, sich von einem hübschen Gesicht ablenken zu lassen, einem Paar schöner Augen und einem verführerisch gerundeten Körper. Er hatte sich immer wieder gesagt, wie wichtig seine Mission sei, bis er schließlich gegen Morgen die Augen geschlossen hatte und eingeschlafen war – und davon geträumt hatte, mit einer Göttin zu schlafen, die üppiges dunkles Haar hatte und lavendelfarbene Augen.
An diesem Morgen hatte er sich noch einmal eingeredet, dass er trotz dieser Träume stark genug sei, mit Miss Michelmarsh in Fleisch und Blut fertigzuwerden. Schließlich war sie nur eine junge Dame wie zahllose andere. Die Heftigkeit, mit der er sich zu ihr hingezogen fühlte, beruhte schlicht auf dem Umstand, dass es ziemlich lange her war, seit er eine junge Dame gesehen hatte, die er verführerisch fand. Seine Faszination von ihr würde sicher bald nachlassen.
Aber das war nicht geschehen.
Wenn überhaupt, dann war sie höchstens gewachsen. Und nicht wegen irgendetwas, was er flüchtig erblickt hatte wie einen entblößten Knöchel oder ihren Busen. Nein. Es lag zum Teil an ihrer Reaktion auf ihn – dieses Aufflammen in ihr, ihr beschleunigter Puls und dass sie sich seiner Nähe bewusst war, wann immer er sie völlig unschuldig berührte.
Er wusste es, spürte es selbst jedes Mal, und dieses Wissen steigerte seinerseits in ihm das Bewusstsein ihrer Nähe – und die Ausschließlichkeit, mit der seine Sinne sich auf sie konzentrierten.
Und als sei das noch nicht genug, erwies sie sich als so etwas wie ein Rätsel. Ein Geheimnis.
Weitere Kostenlose Bücher