Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)
Einladungspraxis der Islamkonferenz. – Verteidigungsminister Jung will die Bundeswehr Ende November aus dem Kongo zurückziehen. – Bulgarien und Rumänien dürfen 2007 in die EU , jedoch mit beispiellosen Auflagen. – Brasiliens Präsident Lula hat beste Chancen auf Wiederwahl. – Der US -Klimaforscher Wallace Broecker sieht nur eine Rettung vor der Klimakatastrophe durch Erderwärmung: »Wir müssen das CO 2 zu einem vernünftigen Preis aus der Luft herausholen.« – Musikunterricht fördert Hirnentwicklung. – Die Debatte über das Anti-Dopinggesetz wird erbitterter geführt als der Kampf gegen Doping selbst. – Palast-Abriß ist ein Fall für die Kripo. – Berlin nach der Wahl. Am Freitag entscheidet der Landesvorstand der SPD über den künftigen Koalitionspartner (Grüne oder wie bisher Linkspartei, beide gleich stark). – Ein Hotel und neue Bürohäuser – Wettbewerb zum Lehrter Stadtquartier am Hauptbahnhof entschieden. – Dokudrama und Patriotenoper in einem: Der Film »World Trade Center« von Oliver Stone. – Neonazis – Bericht über die Störung eines Abendessens vor einem Café durch zwei Radfahrer, die dicht an den Gästen vorbeirasen, der eine laut rülpsend, der andere »Heil Hitler!« schreiend. (Bei den Wahlen vor vierzehn Tagen kam die NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und in einige Berliner Stadtparlamente.) – Ein Psychologe untersucht mit der Quick-Dating-Methode die Partnerwahl von Singles. – ARD verteidigt Verschiebung von »Wut« auf einen späteren Sendetermin – ein Fernsehfilm, in dem ein türkischer junger Gewalttäter eine deutsche Familie terrorisiert, die Fernsehoberen befürchten negative Reaktionen von in Deutschland lebenden Türken. – New Orleans erwacht (nach der Überflutung): Im Superdome wird wieder Footballgespielt. – Jeden Tag führt die Zeitung uns vor Augen, daß wir in einer wahnsinnigen Welt leben, die mit großer Beschleunigung auf eine Selbstzerstörung zutreibt. Ich wundere mich wirklich, daß so wenige Menschen das bemerken und daß wir anderen, die es bemerken, uns daran gewöhnt haben.
Ich schlafe eine Dreiviertelstunde, wache mit der sehr anschaulichen Erinnerung an einen merkwürdigen Traum auf: Ich bin mit Gerd in einem neutralen Raum, er führt einen Becher zum Mund und will etwas trinken, da sehe ich, wie er das nicht schafft, wie er ganz langsam zur Seite sinkt, ich verfolge diese Bewegung mit Schrecken, dann bricht er zusammen. Ich laufe zu ihm, schreie um Hilfe, merke, wir sind ja eigentlich in einem Krankenhaus, da sind doch Ärzte, Schwestern, aber sie achten nicht auf mich, laufen vorbei, es gelingt mir mit Hilfe eines Pflegers, Gerd auf eine fahrbare Trage zu hieven, ihn in ein Zimmer zu bringen, auf ein Bett zu legen, dabei immer vergebens um Hilfe rufend, es kommt sogar ein Arzt mit mehreren Schwestern vorbei, ich kenne den doch, nenne ihn »Dr. Waldeyer« – so hieß mein Gynäkologe in Karlshorst, in den fünfziger Jahren –, der rennt achselzuckend weiter, Gerd geht es immer noch nicht gut, aber er beginnt zu erwachen, und auf einmal ist auch der Arzt bei ihm, der Angstdruck weicht von mir. – Ich erzähle Gerd diesen Traum nicht, weiß nicht genau, warum nicht.
Ich lese noch die letzte der Poetik-Vorlesungen, die Peter Bichsel 1982 in Frankfurt hielt, der er den Titel gab: »Geschichten, die das Leben schrieb«. Literatur, davon sei er überzeugt, sei Wiederholung. Er erzählt dann eine Geschichte, die mit dem Satz beginnt: »Noldi ist ein Schriftsteller«, um an ihr zu beweisen: Nichts ist erfunden an dieser Geschichte, aber sie entspricht in fast nichts der Wahrheit. Bei wirklichen Schriftstellern werde »der Leser entdecken, daß es dem Autornicht einfach um Inhalt, sondern um die Reflexion, um das Erzählen und um die Methode des Erzählens geht. Im Gegensatz dazu betrügen Trivialautoren ihre Leser dadurch, daß sie nur Inhalte vermitteln.« Ich dagegen, denke ich, lege sehr wohl viel Gewicht auf den Inhalt meines Schreibens. Zu viel?
Nicht so weit ab von dieser Problematik ist die Ansicht, die Imre Kertész vertritt, den ich, während ich mich umziehe (da wir ja abends zu Tinkas Party gehen wollen), im Bücherjournal des Deutschlandfunks höre. Er äußert sich zu seinem letzten Buch »Dossier K.«, in dem er anscheinend seine bisher geschriebenen Bücher einer Prüfung unterzieht, indem er das Geschriebene vom Gelebten unterscheidet und scheidet. Nun ist ja dieses »Was ist
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