Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)
mißglückt. – Burma: Brutale Eingriffe der Junta gegen die Demonstranten. – Eine hohe Geldsumme ist auf der Geberkonferenz in Berlin zum Kampf gegen gefährliche Infektionskrankheiten in den Ländern der Dritten Welt freigegeben. – Vor dem Abgang Stoibers in Bayern. – Der Ex-Minister Kanther bekommt eine mildere Strafe wegen Untreue: Nur Geldzahlung, danach ist er nicht vorbestraft und bezieht seine Pension in voller Höhe weiter. – Eine Kommission hat in vielen Schulbüchern Fehler gefunden – was auch mit dem unseligen föderalistischen Bildungssystem zusammenhängt. – Die deutschen Fußballfrauen spielen am Sonntag gegen Brasilien.
Ich sehe noch den Anfang des Vorabendkrimis, da kommt Martin, er holt die Geschenke für seine Familie ab, morgen fährt er mit Anton nach Hamburg, Helene kommt aus Brüssel angeflogen, dann werden sie übers Wochenende ihre vier Geburtstage feiern. Durch Tinkas neuen Arbeitsplatz in Hamburg bilden sich andere Schwerpunkte in der Familie, aber gewiß keine Ausdünnung ihrer innigen Verbindung.
Martin sagt, er arbeite an seiner Rekonvaleszenz nach der wenig erfreulichen Arbeit an der Hauptmann-Gedenkstätte in Erkner, er sehnt sich danach, wieder »Kunst« machen zu können. Er ißt mit uns Abendbrot, Familiennachrichten werden abgefragt, Martin war bei einer Ausstellung versammelter Galerien im Wedding und sagt, meistens könne er mit den Ausstellungsobjekten wenig anfangen. Wir blättern in einem Katalog, in dem eine Kunstauktion angekündigt wird, zum Teil mit großen Namen. Auch Carlfriedrich Claus ist dabei, Gerd spricht wieder von seinem Plan, ihn durch eine Biographie populärer machen zu wollen, aber kein Verlag will einen solchen Text: Sie rechnen sich aus, daß er sich nicht gut verkaufen wird. Es wäre genau die Arbeit, die Gerd in den nächsten Jahren fesseln würde und die ihm entspräche. So ist er zwar immer beschäftigt, manchmal sogar sehr stark, aber es fehlt ihm diese zentrale Aufgabe. Das bekümmert mich.
Als Martin geht, regnet es stark, er nimmt sich fürs Rad eine Regenhaut von uns mit.
Im Fernsehen sehen wir uns ein Stückchen von einem alten Krimi an, der zu Ehren von Jürgen Roland gezeigt wird, der gestorben ist, dann schalten wir auf ARTE , da gibt es »Zabriskie Point« von Antonioni. Das ist ja nun der richtige Abschluß und paßt zum Hauptthema dieses Tages. Ich habe den Film schon mal gesehen, in Los Angeles, entsinne mich aber nicht, wo genau und bei welcher Gelegenheit. Auch an den Film selbst erinnere ich mich kaum, nun sehe ich genau hin: Die Straßen von Los Angeles, der Campus, auf dem die Studenten demonstrieren, dann die lange, lange Wüstenfahrt des Mädchens und der tollkühne Flug des Jungen. Ihr allzulanges Liebesspiel im Wüstensand. Das unvergeßliche Bild mit den vielen Paaren, die plötzlich um sie herumliegen – eine Vision. Die Einblendungen von konsumierenden Normalverbrauchern. Der unnütze, tragische Tod des Jungen, als er das Flugzeug zurückbringt. Und schließlich der böse Blick des Mädchens, der, was er fixiert, in die Luft jagt: Diese ganze tote Konsumzivilisation, die alles Junge, Lebendige zerstört und gegen die es, so sagt es der Film, nichts anderes gibt als Gegenzerstörung.
Ich glaube, Antonionis Diagnose war richtig. Heute sind die Tatbestände noch verschärft, da unsere tote Kultur von einer vielleicht »barbarischeren«, jedenfalls lebendigeren Kultur angegriffen wird, dem Islamismus. Eigentlich haben bei solchen Kämpfen in der Geschichte immer die vitaleren Angreifer gesiegt, und die müde Endzeitkultur ist unterlegen. Sollte es diesmal anders verlaufen? Weil wir – noch – dieschrecklicheren Waffen haben? Ich weiß doch nicht. Mein Zukunftsbild ist nicht freundlich.
Das alles geht mir im Kopf herum, als ich im Bett liege. Es ist nun schon nach Mitternacht. Auch dieser Tag ist vorbei.
Sonnabend, 27. September 2008
wäre »Tag des Jahres« gewesen, das war ein Sonnabend, an dem ich auf einen Zwischenaufenthalt zwischen zwei Krankenhausaufenthalten zu Hause war, die Wunde wurde als »fast geschlossen« angesehen, aber das Knie schwoll immer mehr an, trotz Lymphdrainage, es wurde mir unheimlich, ich schrieb die obere erste Zeile, mehr nicht, nachmittags kamen Jana und Frank mit Klein-Nora, ich hatte sie zum ersten Mal im Arm, die große Freude in diesem sonst freudearmen Sommer, in dem ich seit der Kniegelenksoperation am 11. Juni beinahe nur in Krankenhäusern lag,
Weitere Kostenlose Bücher