Ein Tag ohne Zufall
die mir eingefallen ist. Vielleicht können wir ja jemand anderen fragen …«
Seth stellt den Motor aus und öffnet die Fahrertür. »Lasst mich mal machen.«
Wir sehen zu, wie Seth mit dem Alten spricht. Wieder schüttelt der Mann den Kopf und winkt ab. Nein. Nein. Nein. Aber dann grinst er auf einmal, lacht richtig. Er steht auf und schlägt Seth kräftig auf die Schulter. Nicken, Nicken, Nicken. Gelächter. Als wären die beiden alte Freunde. Der Alte nimmt einen Apfel aus dem Korb, wischt ihn an seinem Hemd blank und schenkt ihn Seth. Sie verabschieden sich mit herzlichem Händedruck, dann kommt Seth zurück.
»Was war das denn?«, frage ich erstaunt.
»Tagalog. Der Typ spricht Tagalog.«
»Cool!«, entfährt es Aidan.
»Und weißt du jetzt, wo wir hinmüssen?«
»Ja. Zweite Querstraße links, dann rechts abbiegen und dann ist es die erste rechts.«
»Tagalog …«, wiederholt Aidan ungläubig. »Wir verfahren uns, und der einzige Mensch weit und breit spricht ausgerechnet Tagalog – eine superseltene Sprache, die Seth zufällig ein bisschen beherrscht.«
Mira, Seth und ich wechseln einen Blick, Mira zieht die Augenbrauen hoch. Aidan spricht mit sich selbst, nicht mit uns. Die Welt der mathematischen Gesetzmäßigkeiten, auf die er sich so fest verlässt, gerät aus den Fugen, und das macht ihm mächtig zu schaffen.
Seth legt den Gang ein. »Warte.« Ich greife ins Handschuhfach, ziehe drei Hundertdollarscheine heraus und springe noch mal aus dem Auto. Nach ein paar Metern rufe ich den anderen über die Schulter zu: »Wir sind die einzigen Kunden – da ist es nur gerecht, wenn wir dafür sorgen, dass es auch für ihn ein Glückstag ist.«
Dem Alten fällt die Kinnlade runter, als ich ihm die drei Scheine in die Hand drücke. Ich suche mir rasch ein Sträußchen Sonnenblumen aus, dann mache ich kehrt, ehe er etwas einwenden kann. Kaum sitze ich wieder im Auto, braust Seth auch schon los.
Mira bringt noch einen Trinkspruch aus: »Auf Sonnenblumen und die richtige Richtung!«
Seth biegt in die zweite Querstraße links ab. Es ist eine schmale, baumbestandene Straße, wir fahren über einen Teppich aus rotgoldenem Laub. Ich erkenne immer noch nichts wieder. »Das war total großzügig von dir«, stellt Seth nach einer Weile fest. »Aber warum hast du so viel Geld im Handschuhfach? Hast du denn keine Angst, dass es geklaut wird?«
»Und dann auch noch im offenen Cabrio.« Das ist Mira.
Aidan brummelt: »Der Alte freut sich bestimmt, dass du mit so viel Kohle durch die Gegend gondelst. Für heute kann er seinen Stand zumachen.«
Ich rutsche auf meinem Sitz herum, schiele verstohlen zu Seth hinüber. »Geld, welches Geld?« Ich kraule Lucky das wollige Fell. »Ach so …
das
Geld meint ihr. Das liegt im Handschuhfach, weil … na ja … eigentlich ist es nicht direkt mein Geld.«
»Wie jetzt?«, Seth klingt ungläubig. »Es ist nicht dein Geld, aber du fährst es in deinem Auto spazieren? Und gibst es mit vollen Händen aus?« Beim letzten Satz überschlägt sich seine Stimme beinahe.
Die Welt verfinstert sich. Kann die Zeit stillstehen? In diesem Augenblick bin ich davon überzeugt … dass die Welt die Gesetze der Logik außer Kraft setzen kann. Jedenfalls die Gesetze jener Logik, die uns bekannt ist. Dass das Unerklärliche, Rätselhafte ein Teil jener Kraft ist, die die Welt in Gang hält, die Welt nährt und durchströmt wie das Blut in den Adern eines Lebewesens. Ich bewege mich mit Lichtgeschwindigkeit in der Zeit vor und zurück, überlege, wäge ab, erinnere mich, während meine drei Gefährten in einem zeitlosen Nebel feststecken. Seit heute Morgen haben wir eine weite Reise zurückgelegt …
Krasse Kiste, Des. Kann Aidan mitkommen? Wem gehört das Auto? Fahr weiter. Weiter.
Dann dreht sich das Räderwerk der Zeit wieder, so wie jedes Mal. Es gibt kein Entrinnen. »Ich wüsste noch ein Geheimnis für euch.«
Mira freut sich: »Des will weiterspielen! Jetzt bin ich aber gespannt!« Dann wird sie gleich wieder ernst, beugt sich vor und flüstert: »Ist es diesmal ein echtes Geheimnis, Des?«
»Du fällst aber auch auf alles rein, Mira«, sagt Aidan mürrisch. »Bestimmt will uns Des weismachen, dass in ihrer Brust
zwei
Affenherzen schlagen – und ein drittes hat sie als Reserve im Portemonnaie.«
»Nein, diesmal sage ich die Wahrheit, Mira. Wie vorhin natürlich auch.«
Mira nickt. »Natürlich.«
»Also.« Ich hole tief Luft. »Dann will ich mal mit offenen Karten spielen.
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