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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearson Mary E.
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wenig kopiert. Nasenbluten. Ein nerviger Lehrer, der mich zwingt, laut auszusprechen, was ich mir wünsche. Ein besonderer Tag.
    Was würde ein einziger solcher Tag ändern?
    Heute Morgen konnte ich Mr Nestor auf diese Frage keine eindeutige Antwort geben, aber meine Vermutungen haben sich allesamt als zutreffend erwiesen. Hoffnung, Glauben, ausgleichende Gerechtigkeit, Ordnung, Mut, Stärke, Wiedergutmachung. Aber das Wichtigste ist das Gefühl, wieder ein Ganzes zu werden. Die abgerissenen, losen Enden deines Lebens flechten sich endlich zwischen die unversehrten und ergeben das Muster, die Beschaffenheit deines Ichs. Hier und da ein wenig zerschlissen, aber doch ein Ganzes. Und wenn man das Leben aller Menschen gegen das Licht halten könnte, kämen vielleicht bei jedem solche zerschlissenen Stellen zum Vorschein.
    Kaum ist die Sonne untergegangen, wird es merklich kühler. Als wir wieder beim Auto sind, ist es dunkel. Mira fröstelt. Ich auch. Ich drücke Lucky an mich.
    »Weiter oben kann man besser wenden«, sagt Seth. »Mal sehen, ob ich rauskriege, wie man das Verdeck zuklappt.« Nicht weit entfernt, ein Stück von der Straße zurückgesetzt, steht eine Scheune. Eine Lampe am Dachfirst wirft einen Lichtkreis auf den Boden.
    Mira wartet nur auf eine Gelegenheit. Das weiß ich. Alle drei warten auf eine Gelegenheit, Fragen zu stellen, nachzuhaken. Lange kann es nicht mehr dauern. Die Atempause, die sie mir gönnen, ist begrenzt. Unsere vorherige Regel gegenseitiger Rücksichtnahme gilt nicht mehr. Ich habe ihnen die Tür geöffnet, jetzt bin ich ihnen auch Erklärungen schuldig. Ich ahne schon, dass es ausführliche, schmerzvolle, peinliche Erklärungen werden. Aber es muss sein. Sie sollen alles wissen. Sie sollen wissen, dass ich nicht verrückt bin. Seth fährt von der Straße ab und hält vor der Scheune. Die Lampe wirft von oben ihren warmen Schein auf uns.
    »Los, wir gehen da rein!« Mira ist schon ausgestiegen und hat das Tor geöffnet. Drinnen flammt Licht auf. Seth greift sich Lucky, und wir gehen ihr nach. Mira hat es sich schon auf einem Heuballen bequem gemacht und schaut uns erwartungsvoll entgegen. Sie wartet auf mich. Die Atempause ist um. Aber dann noch lieber im Hellen, wo ich ihnen ansehen kann, was sie über mich denken.

36
    »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für dich gewesen sein muss«, sagt Mira.
    Wir sitzen im Kreis auf einer dicken Schicht Heu, Knie an Knie, mit den Rücken an die großen Ballen gelehnt. Ich lasse die Vergangenheit an mir vorüberziehen wie einen Kinofilm, in dem ich nicht mitspiele, und erzähle ihnen alles – alles, woran ich mich aus meiner Sicht als Siebenjährige erinnere, und alles, was mir Mr Anwalter darüber hinaus berichtet hat.
    Beim Sprechen beobachte ich ihre Gesichter, achte darauf, ob sie den Mund verziehen, einander verstohlene Blicke zuwerfen oder irgendwelche anderen Reaktionen zeigen, die mich sofort aufhören lassen würden, aber weil mir nichts auffällt, rede ich weiter. Ich erzähle, dass die Ärzte der Meinung waren, es hätte mich ein bisschen aus der Bahn geworfen, dass ich meine Eltern mit eigenen Augen hatte sterben sehen. Ich muss zugeben, dass sie damit nicht ganz unrecht hatten. Eine Zeitlang traf das durchaus zu. Die Wahrheit war einfach zu grausam. Aber ich war nie verrückt oder so. Es war Quatsch, was sich die Kindermädchen zuraunten:
Arme Kleine, vielleicht wär’s besser für sie gewesen, sie hätte auch in dem Flugzeug gesessen.
Und was sie nicht alles tuschelten und dabei dachten, ich kriege nichts mit, aber ich habe alles mitgekriegt. Und die ganzen Abwehrmechanismen, die ich mir ausdachte, um damit fertig zu werden, zum Beispiel, dass mich meine Eltern verstoßen haben.
    »Das hast du dir also nur ausgedacht?«, vergewissert sich Seth.
    »
Ausgedacht
trifft es nicht ganz. Ich war ehrlich davon überzeugt. Einen Abwehrmechanismus nannten es die Ärzte. Irgendwann habe ich dann richtig dran geglaubt. Wenn mich meine Eltern verstoßen hatten, auch wenn das unglaublich gemein von ihnen war, dann würden sie vielleicht …«
    »Dann würden sie vielleicht eines Tages wiederkommen und dich holen.«
    »So in der Art.«
    Mira beugt sich vor und fummelt an ihren Schuhen herum. »Man kann das nicht vergleichen, das weiß ich, aber ich habe so etwas Ähnliches gemacht, als …« Sie hebt den Kopf. »Ich glaube, ich habe es euch noch nicht erzählt, aber meine Eltern sind geschieden. Es war schrecklich.« Sie schaut wieder

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