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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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wurde sichtbar …»
    Die Landebahn wurde sichtbar, und Dunditsch zog den Pitchhebel zu sich heran. Der Hubschrauber stürzte wie üblich für einen Sekundenbruchteil in die Schwerelosigkeit, dann bekam er wieder Luft unter sich und flog gleichmäßiger. Nur noch über die Biegung, dann wären sie da gewesen.
    Es war ein gewöhnlicher Einsatz, wie Dunditsch ihn im letzten halben Kriegsjahr zu Dutzenden geflogen ist. Dieses Mal sollte er Fallschirmjäger, zwölf Mann, von Kabul nach Gardez bringen. Keine große Entfernung, fast die ganze Zeit über flacher Ebene, nur beim Anflug Berge, der Flug verhieß keine besonderen Schwierigkeiten. Ein normaler Job.
    Gardez ruhte wie ein flacher Pfannkuchen in der Wüste und verdeckte den Horizont. Die Landebahn wuchs bis auf Lakengröße an, und Dunditsch ging in den Sinkflug.
    Die zwei Rauchspuren sah er sofort und hatte in dem Moment auch schon begriffen, dass es Raketen waren. Alles Weitere nahm er stoßweise und rasend schnell wahr.
    Die erste Rakete flog zu hoch, er konnte noch ihre Rauchspur über der Kabine verfolgen. Die zweite traf die hintere Hälfte des Rumpfes, in Motornähe. Es gab einen Ruck, der Hubschrauber kippte zur Seite und prallte auf einen Felsen. Splitter der Rotorblätter schossen in alle Richtungen. «Nur nicht in die Kabine», dachte er. Der von der Schraube befreite Motor heulte auf, im Laderaum brüllten die Fallschirmjäger, die Landebahn kippte und rutschte himmelwärts, die Erde stellte sich steil auf, und unter ihr, mit den Armen fuchtelnd, liefen Menschen auf den abstürzenden Helikopter zu …
    Durch den Aufprall verschwamm alles vor seinen Augen, er war schwach, verlor aber trotz des Schwindels nicht das Bewusstsein. Dunditsch nahm noch wahr, dass der Hubschrauber auf ein kleines Fleckchen Erde am Rande einer Schlucht gestürzt war und jetzt schaukelnd über dem Abgrund hing. Wie im Kino. Der Abgrund war die Mitte der Waage. Auf der einen Waagschale lag das Leben von zwölf jungen Männern, die die Maschine mit ihrem Gesamtgewicht auf den Felsvorsprung drückten. Auf der anderen Waagschale lag sein eigenes Leben. Er wusste: Er wird nur so lange überleben, wie im Schwanz des Helikopters zwölf Fallschirmjäger sitzen. Sie werden so lange überleben, wie er versucht, die Maschine zu halten. So einfach. Ist eben passiert. Niemand ist schuld. Aber jemand muss sterben.
    Alexander entschied, dass sein Leben weniger wert war als das Leben der zwölf Jungs, und befahl ihnen abzuspringen.
    «An mich selbst habe ich dabei gar nicht gedacht. Das Wichtigste war, die Insassen zu retten. Der Hubschrauber rutschte langsam ab, und ich schrie, sie sollen springen. Ich versuchte, die Maschine irgendwie zu balancieren, sie mit dem Steuer zu beeinflussen, um sie länger auf der Kante der Schlucht zu halten.»
    Als der letzte Soldat gesprungen war, wippte der Hubschrauber noch einmal, kippte dann zur Seite und flog mit Alexander Dunditsch in der Kabine in die Tiefe.
    «Ich weiß noch, wie ich tief unten die Erde sah und dachte: Das ist das Ende. Dann der Aufschlag und Dunkelheit …»
    Durch den Aufprall geriet der Hubschrauber in Flammen. Als die Fallschirmjäger nach unten gerannt waren und Dunditsch aus dem Feuer zogen, war er fast tot – der Sturz hatte ihm das Rückgrat gebrochen, einen Arm zertrümmert und ein Bein fast abgerissen, es hing nur noch an der Hose und einigen Sehnen.
    In einem Zimmer mit weiß gestrichenen Wänden kam er wieder zu sich. Neben ihm eine Frau im Kittel. Sie roch nach Zigaretten.
    «Wo bin ich?»
    «Im Krankenhaus. In Kabul», antwortete die Frau.
    «Warum spüre ich meine Beine nicht? Sind sie noch dran?»
    «Ja. Du hattest eine starke Prellung. Das geht vorbei.» Sie sprach zu ihm wie zu einem Kind.
    «Ich will meine Beine sehen. Heben Sie mich an.»
    Die Frau schlug die Bettdecke zurück und hob seinen Kopf. Die Beine waren noch dran. Das rechte schien in Ordnung zu sein, das linke aber war so verstümmelt, dass schon der Anblick weh tat. Aber den Ärzten war es irgendwie gelungen, die Teile zusammenzuflicken.
    «Geben Sie mir eine Zigarette.»
    Die Frau steckte eine Zigarette an und schob sie ihm zwischen die Lippen. Nach zwei Zügen wurde Dunditsch erneut ohnmächtig.
    Als er endgültig erwachte, war niemand mehr in seinem Zimmer. Dann kamen die Ärzte. Sie sagten, sein Zustand sei stabil und alles werde wieder gut. Ihn quälte nur eine Frage – warum schien sein Körper an der Hüfte aufzuhören, und alles darunter war

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