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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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Thema kann man sich nur eine, anderthalb Stunden unterhalten. Länger lässt sich die emotionale Spannung einfach nicht ertragen, Erzähler und Zuhörer drohen von zu viel Erinnerung durchzuglühen, wie ein zu dünner Draht vom Strom. Das ist das Signal, zum Ende zu kommen. Weiterreden ist zwecklos.
    Mit Walerij Burkow, Held der Sowjetunion und Oberst im Ruhestand, habe ich viel länger gesprochen. Vielleicht weil seine Geschichte so aufwühlend ist und sich einfach nicht in den Rahmen eines einzigen Lebens fügen will.
    Oder weil er mit Leichtigkeit erzählt, ohne sich zu quälen. Er neigt zur Ironie und lächelt gern. Seine Lieblingswendung ist: «Ich bereue nichts.» Obwohl wir über den Krieg reden. Darüber, wie er verwundet wurde.
    ***
    Die beherrschende Höhe nahmen sie nach allen Regeln der Kunst. Sie näherten sich von hinten, fielen unerwartet wie Schnee über die afghanischen Aufständischen her. Die ergriffen sofort die Flucht, versuchten gar nicht erst, Widerstand zu leisten.
    Manch einer schoss den fliehenden Rebellen schon hinterher, andere richteten die Maschinengewehre neu aus, Hubschrauber bearbeiteten mit ungelenkten Raketen die Steine vor den Stellungen … Alles geschah blitzschnell, wie nach Lehrbuch.
    Nachdem der Geschützdonner verhallt war, sahen sie sich um. Burkow bemerkte eine Grotte in der Nähe. Es zog ihn dorthin, er wollte herausfinden, wozu sie diente.
    «Ich komme dahin und sehe: ein schweres Maschinengewehr – eine Duschka! Patronengurte lagen herum, Granaten. Ich hatte schon Erfahrung, hab mich umgesehen – nein, nichts vermint, keine Sprengfallen. Wir waren auch so rasch gelaufen, dass sie das gar nicht geschafft hätten. Also kletterte ich da rein. Eine elegante Schießscharte: Von dort aus hatte man sowohl das Tal als auch anfliegende Helikopter im Schussfeld – nett ausgedacht. Alles wie auf dem Präsentierteller. Ich greife mir ein paar Patronengurte, Granaten und klettere raus. ‹Jungs, hab Trophäen!› Lege sie auf einen Stein, dreh mich nach links, mach einen Schritt und …»
    Die Detonation hörte er, als käme sie von der Seite. Erster Gedanke: Scheiße, da ist jemand in die Luft geflogen. Zweiter Gedanke: Verflucht, dieser Jemand bin ich.
    Als er die Augen öffnete, galt sein erster Blick den Beinen. Die Knie waren unversehrt. Weiter unten konnte er nichts erkennen. Er versuchte, sich zu bewegen – der rechte Arm tat weh. Sein Unterarm war durchschossen, ein münzgroßes Loch klaffte. Aber das Blut tröpfelte nur. Die Mundhöhle fühlte sich taub an. Er schielte in die Richtung – da hingen Hautfetzen. Ein Splitter hatte Kinn und Nase gestreift und war himmelwärts geflogen.
    «Ein junger Soldat kam angelaufen und weinte fast: ‹Genosse Hauptmann, Genosse Hauptmann, was machen wir, wie kann ich helfen?› – ‹Reich mir den Antennendraht›, sage ich, ‹zum Abschnüren.› Er nimmt ihn – so etwas hatte ich noch nicht gesehen, er stand mehr unter Schock als ich –, sagt: ‹Genosse Hauptmann, Genosse Hauptmann, halten Sie durch, ich mach das schon›, und zerteilt vor meinen Augen die Antenne mit den Händen. Legt mir eine Abschnürbinde. Ich frage: ‹Und die Beine? Beide abgerissen?› – ‹Das rechte abgerissen, das linke kaputt … Was machen Sie nur, Genosse Hauptmann …› – ‹Ja, ja, blöd von mir, da reinzugehen.› Und plötzlich wurde ich ärgerlich – eine einzige Mine, verflucht, und ausgerechnet da muss ich drauftreten … Wie wird meine Mutter damit fertigwerden? Vor einem Jahr mein Vater und jetzt ich.»
    ***
    Der Krieg begann für Walerij Burkow im August 1981 , als sein Vater nach Afghanistan geschickt wurde.
    «Mein Vater rief mich an und sagte: ‹Ich werde in den Süden geschickt. Du weißt, was für ein Süden?› – ‹Natürlich weiß ich das›, antwortete ich. ‹Willst du nachkommen?› – ‹Ja.›»
    Doch gemeinsam zu dienen, das war ihnen nicht gegeben. Das Schicksal schien ihnen absichtlich Steine in den Weg legen zu wollen. Erst erkrankte Burkow junior bei einem Dienstaufenthalt bei Irkutsk an Tuberkulose. Diese Diagnose ist ausreichend, um in gemäßigtem Klima für ein Jahr fluguntauglich geschrieben zu werden, vom Süden kann schon gar keine Rede sein. Burkow aber überredete die Ärzte, ihm den Kriegseinsatz zu genehmigen. Sie unterschrieben ihm den Bericht. Doch das nächste Unglück zog schon herauf.
    «Ich sollte schon abfliegen. Man bat mich, ein letztes Mal Streife zu gehen. Ich komme von der

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