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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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    «Dieser Iljazarow-Apparat, den sie mir in Grozny angelegt hatten … Ich hatte Schirwani versprochen, ihn zurückzugeben, denn er ist teuer – Spezialstahl, all das. Als ich nach Moskau kam, wurde ein paar Wochen später das Krankenhaus in Grozny zerbombt … Zurückschicken ging also nicht mehr. Aber ich hätte das wirklich getan, denn sie hatten mir das Letzte gegeben, obwohl ich für sie ein Niemand war.»
    In diesem Krankenhaus erfuhr Lecha auch, dass er gefallen war. Sein Leichnam, gefunden auf dem Feld bei Nowolakskoje, war anhand von Kleidungsresten identifiziert und ins 124 . Labor in Rostow geschickt worden.
    «Im Reutow traf ich auch Jungs aus der Brigade von Zelenokumsk. Damals in der Nacht hatten sie doch noch versucht, uns zu Hilfe zu kommen. ‹Habt ihr nicht gehört, wer dort gefallen ist?›, frage ich. Sie antworten: ‹Der Leutnant und der Sergeant von der Flak …› Das heißt ich. Mich haben sie an der Hose erkannt: Als ich dort lag, musste ich und konnte nicht. Also habe ich meine Hose aufgeschnitten und weggeworfen, und die sind ja nummeriert. So hat man mich identifiziert. Sie dachten, die Hunde hätten meine Leiche gefressen – dort fressen die Hunde Menschenfleisch. Ich sage: ‹Bist du sicher, dass der Sergeant gefallen ist?› – ‹Ja›, antwortet der, ‹da sind Leute aus deinem Zug hingefahren, und alle zusammen haben die Gefallenen identifiziert.› Und als ich sagte, dass ich dieser Sergeant bin: ‹Ist nicht möglich! Dich hat man doch identifiziert! Du bist sogar in einem Haufen mit den anderen beerdigt worden!› Nach einem Jahr bekam meine Mutter eine Gefallenenmeldung, sie sollte ins Labor nach Rostow kommen und meinen Leichnam abholen … Man hatte mich zu den Verlusten gezählt.»
    Lecha ging dann selbst zum Wehrbereichsamt und bat um eine Bescheinigung, dass er, Sergeant der Reserve Aleksej Nowikow, am Leben ist und vor ihnen steht. Die bekam er nicht – lag nicht in ihrer Zuständigkeit. Mit einem Wort, die übliche Soldatenquälerei bei dem Versuch, den Staat zur Preisgabe der Wahrheit zu zwingen.
    «Tichomirow sagte, meine Gefangenschaft würde man mir als Kampfzeit anrechnen und bezahlen. Ich schreibe: Zahlt mir was für die Gefangenschaft. Die Antwort: Sie brauchen eine Bescheinigung, dass ich am Leben bin. Einen Beleg dafür, dass ich existiere. Wie kann ich das belegen, wenn ich selbst meine Gefallenenmeldung kriege? Kurz gesagt, ich müsste noch einmal zu Bassajew fahren – stell mir bitte eine Bescheinigung aus, dass ich bei dir in Gefangenschaft war.»
    Für den Krieg, die Gefangenschaft, fast zwei Jahre Krankenhaus und neun Zentimeter Bein bekam Lecha nur eine einmalige Verwundetenbeihilfe und materielle Unterstützung. Und eine Kampfzulage … Kampfzulage wurde nur für einen einzigen Tag gezahlt – nämlich den Tag, an dem er verwundet wurde. So als wäre er nicht länger im Krieg gewesen.
    Dabei hegt er keinen Groll gegen das Leben, das wäre Sünde. Lechas Krieg hat ihm den Frieden geschenkt. Er hat eine Familie, eine Wohnung, einen Sohn. Er ist der bekannteste «Tschetschene» in ganz Baschkirien. Ehrenamtlich aktiv, Mitglied der baschkirischen Organisation der Teilnehmer des bewaffneten Konflikts in Tschetschenien. Lecha bekam eine Wohnung, eine Rente – fünftausend Rubel, nach den dortigen Verhältnissen unglaublich viel. Mit diesen hundertsiebzig Dollar im Monat kann er es sich leisten, nicht zu arbeiten. Und das alles für neun Zentimeter Bein.
    Ich sitze mit ihm im örtlichen Dampfbad seines Vaters, wir trinken das Gebräu der Gegend, Schihan. Lechas Bein ist fürchterlich verkrüppelt.
    «Wie konnte das passieren, dass sie mich einfach aufgegeben haben? Drei aus meiner Gruppe sind weggelaufen. Unseren Leuten sagte man, alle drei seien gefallen. Der Leutnant gefallen, Sanka gefallen, ich gefallen. Und wozu Leben riskieren, um Toten hinterherzulaufen? Die kann man später aufsammeln. Wenn sie gewusst hätten, dass ich lebe, hätten sie mich rausgeholt, bestimmt. Aber so … Jeder Offizier hätte diese Entscheidung getroffen, das ist richtig.»
    «Hast du nicht versucht, sie zu finden?»
    «Was sollte ich sie denn fragen? Warum habt ihr mich liegen lassen, ihr Arschlöcher? Einer von ihnen hat übrigens den Verstand verloren. Und sowieso … Wenn sie mich nicht verwundet in der Scheiße sitzengelassen hätten – wo wäre ich heute? Ein Krüppel, Invalide, völlig unnütz. Im Wohnheim mit Krücken, ohne alles? Alles, was ich

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