Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
plötzlich Leben und Tiefe auf der Leinwand und einen greifbaren Charakter bekommt. Der Gauner gab sich Mühe. Er arbeitete wie der Teufel. Und wenn es gelang, freute er sich wie ein Kind.
Der Gauner hatte nun fast so etwas wie eine Familie. Mit dem Lehrer war er kein obdachloser Streuner mehr. Eine Zeitlang wohnten sie zusammen. Malten Ikonen, Reproduktionen – immer die «Bären» und «Jäger». Davon lebten sie. Die Leute kauften diese Bilder, und der Gauner glaubte, er hätte endgültig seinen Platz im Leben gefunden. Dann brach der Krieg aus. Der Lehrer musste an die Front. Nach einem halben Jahr kehrte er mit einem Lungendurchschuss und schwindsüchtig geröteten Wangen zurück. Schon vor dem Krieg war seine Gesundheit nicht besonders stabil gewesen, jetzt wurde er richtig gebrechlich. Er begann Blut zu husten, der Hunger tat das seine. Der Mann drohte zu sterben. Da begann der Gauner, Brotkarten zu fälschen und sie einzutauschen. Wenn er am Tag einen halben Laib Brot verdiente, war das gut.
Mit diesen Karten fiel er dann im Winter 1943–44 auf die Nase. Wie man ihm auf die Spur gekommen war, weiß er nicht. Die Weiber auf dem Markt hatten nie Zweifel an der Echtheit seiner Karten, so gut sie sie auch zwischen den Fingern wendeten und beinahe mit den Zähnen prüfen wollten. Da kamen eines Abends plötzlich zwei Männer und klopften ans Fenster: «Du?» – «Ja.» – «Fälschst du Lebensmittelkarten?» – «Ja, schon, was ist dabei …» – «Na, dann komm mal mit.» Und sie gingen. Ganz normal, wie auf einen Spaziergang, zwei NKWD -Leute und er in der Mitte. Wie ein Bengel mit seinen großen Brüdern.
Zusammen mit dem Gauner in der Zelle saß ein Arbeiter, dem man fünfundzwanzig Jahre dafür gegeben hatte, dass er eine Spule Garn aus der Fabrik mitgenommen hatte. Die Spule bezeichneten die Ermittler als «fünfundzwanzig Meter Nähmaterial». Und noch einer war da – er hatte einen Sack frostgeschädigter Kohlblätter vom letzten Jahr vom Feld geschleppt und war damit einer Patrouille direkt in die Arme gelaufen. Das Ärgerlichste war, dass er diese Blätter dann nicht mal essen konnte – im Knast tauten sie und verwandelten sich in einen rotzigen Brei.
Lange blieb der Gauner nicht im Untersuchungstrakt. Rasche Ermittlungen, Verfahren, Urteil. Fünf Jahre Lager brummte man ihm für diese Brotkarten auf, unter Berücksichtigung der Vorstrafen, die ihm von seiner Kinderheimjugend geblieben waren. Wieder hatte er Glück gehabt. Ein Strafurteil, kein politisches; und fünf Jahre waren nach damaligen Maßstäben überhaupt nichts (für die Karten hätte man ihn nach Kriegsrecht sofort an die Wand stellen können). Und vor allem wurde er nicht zum Volksfeind erklärt.
«In Kowrow bat ich darum, meine Strafe durch das Strafbataillon ersetzen zu können», erinnert sich Iwan Petrowitsch. «Den Politischen drückte man keine Waffen in die Hand, denen traute man nicht, aber ich saß wegen Betrugs ein, mir erlaubten sie zu tauschen. Aus Wladimir brachten sie mich in die Wälder vor der Stadt. Dort, hinter dreifachem Stacheldraht, lag das Ersatzbataillon. Ziemlich groß. Von meiner ganzen Strafbiographie sollte nun gerade dieses Strafbataillon bei Wladimir die schrecklichste Etappe werden …»
Der Verurteilte Gorin hieß von nun an Gefreiter Gorin, doch durch diese Formalie verbesserte sich seine Situation nicht im Geringsten – er war weiter nur graues, rechtloses Vieh, das einen menschlichen Umgang nicht verdiente. Am Tag gab es zweihundert Gramm Brot und eine Schüssel labbriger Suppe. Sie lebten in Baracken, in Zugluft. Trugen irgendwelche Lumpen, schliefen auf strohbedeckten Pritschen. Geprügelt wurde erbarmungslos.
«Es war furchtbar, wenn sie dich am Morgen, wenn du müde und unbekleidet warst, in den Schnee trieben und Gymnastik machen ließen und dir beim Robben über den Boden die Unterwäsche anfror. Manche hielten das nicht aus und stürzten sich in den Stacheldraht, versuchten zu fliehen … Nicht einer konnte entkommen. Man jagte sie mit speziell ausgebildeten Hunden. Kalbsgroße, starke Wolfshunde, die einen Mann spielend umwerfen konnten und durch Wattejacken bis auf die Knochen bissen. Wer zurückgebracht wurde, den erschoss man vor versammelter Mannschaft.»
Jenes Leben setzte dem Gauner zu. Und er wäre in diesem Konzentrationslager unweigerlich gestorben, wenn das Schicksal ihm nicht erneut wohlgesinnt gewesen wäre. Irgendwann ließ man alle Verurteilten auf dem Platz
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