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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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Bessonow in die Arme. Man stellte ihn vor die Alternative – entweder würde man ihn fesseln und mit den Bewachern zurücklassen, oder er schloss sich den Flüchtenden an. Er entschied sich für Letzteres. Man zog den Bewachern die Schuhe aus und ließ sie im Wald zurück, dann brach die Gruppe nach Norden auf. Die Flucht nahm fünfunddreißig Tage in Anspruch. Mehrere Male stießen sie auf Tschekisten und entkamen nur durch Kampf. Unterwegs führte Bessonow ein Tagebuch auf der Innenseite des Umschlags seines Neuen Testaments:
     
    18 . Mai – Haben den Konvoi entwaffnet und sind geflohen.
     
    27 . Mai – Die ganze Nacht und den ganzen Tag pausenlos marschiert. Das Essen ist fast alle. Wir kamen auf eine Milchfarm, gerieten in einen Hinterhalt. Nach Schusswechsel suchten die Roten auf einem Boot das Weite. Wir gingen am Flussufer entlang, besorgten uns Essen bei den Fischern. Wenig zu essen, wir marschieren hungrig. Sind schrecklich erschöpft. Alle haben geschwollene Füße.
     
    29 . Mai – Nächtliche Überquerung der «undurchdringlichen» Sümpfe. Ruhepause. Mücken, Gänse. Ein Hase. Malbrodzki kann vor Erschöpfung nicht laufen.
     
    4 . Juni – Sind in ein Dorf gegangen, um Nahrung aufzutreiben. Die Karelier versprachen uns etwas zu essen, führten uns damit aber hinters Licht. Überhaupt wenig zu essen. Wir gehen Richtung Westen.
     
    5 . Juni – Mal’sagow kann nicht gehen. Wir fanden ein Schnitterhaus. Riesige Vorräte von Getreide, Mehl und Salz. Wir alle fielen auf die Knie und dankten dem Schöpfer. Es ist fast Morgen. Alle schlafen.
     
    14 . Juni – Der Fluss. Rückzug. Ein Pfad. Dann ein Hinterhalt. Beschuss aus nächster Nähe. Gott beschützte uns. Er sei gelobt! Flucht. Zurück zum Fluss. Schreckliches Übersetzen.
     
    17 . Juni – Haben durch einen glücklichen Treffer ein Rentier erlegt. Fast vollständig gegessen.
     
    21 . Juni – Am Morgen zogen wir weiter. Erschöpfung. Keine Lust zu gehen. Eine Lichtung. Wir gehen an den Rand. Verlassen die Lichtung. Holzflöße. Finnland!
     
    Schon ein halbes Jahr später schrieb Mal’sagow seine «Hölleninsel». Das Buch schlug ein wie eine Bombe. Die Führung der U d SSR sah sich des Staatsterrorismus und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen beschuldigt. Die berühmte Reise hundert sowjetischer Schriftsteller zum Belomorkanal war teilweise auch ein Gegenschlag zu Mal’sagows «antisowjetischer Propaganda». Ihr Ergebnis ist bekannt – rühmende Belletristik über die glücklichen Häftlinge und ihre Arbeit, «ein Werk von Ehre und Heldenmut».
    Am Zweiten Weltkrieg beteiligte sich Mal’sagow als Offizier der polnischen Armee. Aber es war ihm nicht bestimmt, Soldat zu sein. Mal’sagow blieb der ewige Flüchtling. Im Jahre 1939 geriet er in deutsche Gefangenschaft und kam in ein Kriegsgefangenenlager in Deutschland. Erneute Flucht, erneutes Irren durch die Wälder. Der Widerstand schickt ihn nach Frankreich, wo er bis Kriegsende Partisan blieb.
    Nach dem Krieg begann der NKWD eine Hetzjagd auf Mal’sagow. Wieder war er gezwungen, sich zu verstecken, reiste von einem Land ins andere. Mehrere Anschläge wurden auf ihn verübt. Trotzdem stellte er seinen Kampf für die Menschenrechte nicht ein. Nie warf er das Handtuch. Aus seinem Krieg gegen die sowjetische Staatsmaschine ging er als Sieger hervor.
    Seine Angehörigen sollte Mal’sagow nicht mehr wiedersehen. Sein Familienleben spielte sich nur noch in Briefen ab: «Lieber Sosi! Jetzt sind wir beide doch schon recht alt geworden im lebenslangen Warten auf eine Begegnung. Sogar unsere Töchter sind alt geworden. Rajetschka ist schon 55 , sie ist in Rente, und Madina 51 …» Seine jüngere Tochter Madina, die erst nach seiner Verhaftung geboren wurde, hat er nie zu Gesicht bekommen. Sozerko Artaganowitsch starb 1976 in England.
    Man sagt, die Geschichte habe eine Spiralform. Wenn das wirklich stimmt, dann sind wir in einer einzigen Windung gefangen. Gemeinsam mit Europa sind wir ins zwanzigste Jahrhundert eingetreten, aber der Zug ist nun schon ein ganzes Jahrhundert unterwegs, während unser Oberster Weichensteller uns immer wieder auf das Abstellgleis nach Solowki zurückfahren lässt. Milizterror, weisungsabhängige Justiz, Tschernokosowo, Borodzinowskaja und Blagowetschensk, die ungreifbaren «Obersten» im Kaukasus, die totale Nivellierung des menschlichen Lebens und der Menschen überhaupt.
    Im Laufe eines Jahrhunderts ist das Mal’sagow-Gen der

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