Ein Tag wie ein Leben
gelernt hatte. Ihre hohen Wangenknochen, die vollen Lippen - ich war froh und dankbar, dass unsere
Töchter mehr Ähnlichkeit mit Jane hatten als mit mir. Und jetzt wollte eine dieser Töchter heiraten! Eigentlich hätte Jane überglücklich
sein müssen. Aber als ich näher trat, bemerkte ich, dass sie weinte.
Ich erschrak fast und wusste nicht recht, wie ich mich verhalten
sollte. Hätte ich doch lieber im Wohnzimmer auf sie warten sollen?
Ich wollte wieder gehen, aber Jane schien meine Anwesenheit gespürt zu haben. Sie blickte über die Schulter.
»Oh, hallo«, sagte sie und schniefte.
»Ist alles okay?«, fragte ich.
»Ja, natürlich.« Aber dann schüttelte sie den Kopf. »Das heißt,
nein. Ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich mich fühle.«
Ich trat neben sie und stellte das Glas auf das Geländer. In der Dunkelheit sah der Wein aus wie Öl.
»Danke.« Jane trank einen Schluck, seufzte tief und schaute dann
wieder hinaus aufs Wasser.
»Das war typisch Anna«, murmelte sie. »Eigentlich dürfte ich mich
ja über nichts mehr wundern, aber trotzdem…«
Sie verstummte und stellte das Glas wieder ab.
»Ich dachte, du magst Keith«, sagte ich.
»Ja, natürlich mag ich ihn. Aber eine Woche? Ich weiß gar nicht,
wie sie sich das vorstellt! Wenn sie schon keine große Feier haben
möchte, warum ist sie dann nicht einfach mit ihm durchgebrannt und
hat irgendwo in Las Vegas geheiratet?«
»Wäre dir das lieber gewesen?«
»Nein. Ich hätte mich maßlos aufgeregt.«
Ich grinste. Jane ist immer so wunderbar ehrlich, auch sich selbst
gegenüber.
»Aber es gibt unglaublich viel zu organisieren!«, fuhr sie fort. »Wie
sollen wir das alles schaffen? Ich möchte ja gar nicht, dass wir im
großen Saal des Plaza Hotels feiern, aber trotzdem - ich hätte gedacht, Anna will wenigstens einen guten Fotografen dabei haben.
Und ein paar von ihren Freunden.«
»Aber am Schluss war sie doch mit allem einverstanden, oder?«
Jane zögerte kurz, bevor sie betont ruhig erwiderte:
»Ich glaube nicht, dass ihr klar ist, wie oft sie später an ihren Hochzeitstag zurückdenken wird. Sie bildet sich ein, es wäre eine Bagatelle.«
»Sie wird den Tag bestimmt nie vergessen - egal, wie sie ihn feiert.«
Jane schloss die Augen. »Das verstehst du nicht.«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Ich wusste nur zu gut, worauf sie
damit anspielte.
Kurz gesagt: Jane wollte nicht, dass Anna den gleichen Fehler
machte wie sie selbst.
Meine Frau hat immer darunter gelitten, dass unsere Hochzeit so
prosaisch ablief. Ich hatte auf einer standesamtlichen Eheschließung
bestanden, weil ich keine festliche Zeremonie wollte, und obwohl ich
selbstverständlich die gesamte Verantwortung dafür übernehme,
spielten doch auch meine Eltern eine zentrale Rolle.
Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Menschen hierzulande waren sie überzeugte Atheisten und haben mich entsprechend erzogen.
Ich interessierte mich zwar für die Kirche und ihre rätselhaften Rituale, über die ich hin und wieder irgendwo etwas las, aber wir redeten zu Hause nie über religiöse Fragen.
Gelegentlich fiel mir auf, wie sehr ich mich in dieser Hinsicht von
den anderen Kindern in unserem Viertel unterschied, aber das beschäftigte mich nicht weiter.
Heute sehe ich das völlig anders. Mein Glaube ist für mich das
schönste Geschenk, das ich je bekommen habe. Ich will mich hier
nicht weiter darüber auslassen - nur eins möchte ich noch hinzufügen: Rückblickend kommt es mir so vor, als hätte ich immer gewusst, dass in meinem Leben etwas fehlt. Die Jahre, die ich mit Jane
verbracht habe, sind der Beweis dafür. Genau wie ihre Eltern ist Jane
sehr gläubig. Sie war diejenige, die mich das erste Mal in die Kirche
mitnahm. Sie kaufte die Bibel, in der wir abends immer lesen, und
sie beantwortete meine anfänglichen Fragen.
Aber all das geschah erst, nachdem wir schon verheiratet waren.
Wenn es in der ersten Zeit Spannungen zwischen uns gab, hingen
diese fast immer mit meinem Verhältnis zur Religion zusammen. Ich
weiß genau, dass sich Jane an manchen Tagen fragte, ob wir überhaupt zusammenpassten. Sie hat mir später gestanden, sie hätte mich
nicht geheiratet, wenn sie nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass
ich eines Tages zum Glauben finden würde. Ich wusste, dass Annas
Pläne bei ihr schmerzliche Erinnerungen wach riefen, denn meine
Skepsis in Religionsdingen war ja der Grund gewesen, weshalb wir
eben nur standesamtlich geheiratet hatten. Aber damals
Weitere Kostenlose Bücher