Ein Tag wie ein Leben
erwachsen. Ich kann die Wahrheit ertragen.«
»Aber ich sage die Wahrheit!«, erwiderte ich schnell. »Ich möchte
dich sehen. Ich habe mich nur irgendwie ungeschickt ausgedrückt.«
Ich schluckte. »Ich wollte dir eigentlich sagen - also - ich wollte dir
sagen, dass du für mich ein ganz besonderer Mensch bist und mir
sehr viel bedeutest.«
Wir schwiegen beide, und zu meiner Verwunderung sah ich, dass
ihr eine Träne über die Wange lief. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg und verschränkte wieder die Arme vor der Brust, den Blick
auf die Bäume beim Fluss gerichtet.
»Warum tust du das immer wieder?« Jetzt klang sie ganz heiser.
»Was meinst du?«
»Ich meine… das, was du jetzt tust. Du redest zum Beispiel über
Statistiken, als könne man alles mit Zahlen erfassen. Als könne man uns mit Zahlen erfassen. Aber so ist es nicht immer im Leben. Bei
Menschen funktioniert das nicht. Und außerdem sind wir nicht Harold und Gail.«
»Das weiß ich, aber…«
Zum ersten Mal sah ich Enttäuschung und Schmerz in ihrem Gesicht. Und daran war ich schuld!
»Warum hast du es dann gesagt?«, fragte sie. »Ich weiß, dass es
nicht leicht wird. Und wenn schon! Meine Mum und mein Dad haben sich vierzehn Jahre lang nicht gesehen, und sie haben trotzdem
geheiratet. Und du redest von neun Monaten, als wären sie eine Ewigkeit! Wir können telefonieren, wir können uns schreiben…« Sie
schüttelte fassungslos den Kopf.
»Tut mir Leid - bitte, nimm es mir nicht übel«, sagte ich. »Wahrscheinlich habe ich einfach Angst davor, dich zu verlieren. Ich wollte
dich nicht ärgern…«
»Warum? Weil ich ein besonderer Mensch bin? Weil ich dir viel
bedeute?«
»Ja, genauso ist es.«
Sie schnaubte empört. »Ich freue mich auch sehr, dich kennen gelernt zu haben!«
Endlich dämmerte mir, was los war. Ich hatte das, was ich gesagt
hatte, als Kompliment gemeint, aber bei Jane war es völlig anders
angekommen. Ich hatte sie verletzt, ohne es zu wollen. Mein Mund
war plötzlich ganz trocken.
»Entschuldige bitte«, murmelte ich. »Ich wollte nicht, dass das alles
so komisch herauskommt. Du bist wirklich etwas ganz Besonderes
für mich, aber - du musst verstehen, die Sache ist die…«
Ich hatte einen Knoten in der Zunge, ich konnte nur noch stottern
und brachte keinen vollständigen Satz mehr heraus. Jane stieß einen
tiefen Seufzer aus. Da wusste ich, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb,
also räusperte ich mich und sagte endlich das, was ich eigentlich sagen wollte:
»Eigentlich wollte ich dir sagen - ich glaube, ich liebe dich.«
Jane schwieg. Hatte sie mich überhaupt gehört? Während ich noch
zweifelte, verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln.
»Heißt das, du glaubst es nur oder du tust es tatsächlich?«
Ich schluckte. »Es heißt: ja, ich tue es«, sagte ich. Und um endgültig Klarheit zu schaffen, fügte ich hinzu: »Ich liebe dich, wollte ich
sagen.«
Zum ersten Mal während dieses Gesprächs lachte sie richtig. Ich
glaube, sie fand es lustig, dass ich mir das Leben so schwer machte.
Dann zog sie amüsiert die Augenbrauen hoch und sagte mit übertriebenem Südstaatenakzent: »Ich muss schon sagen, Wilson, so was
Nettes hast du noch nie zu mir gesagt - glaube ich.«
Sie stand auf, setzte sich auf meinen Schoß, schlang die Arme um
meinen Hals und küsste mich. Darauf war ich nicht gefasst gewesen.
Der Rest der Welt verschwamm, und im milden Licht der Dämmerung hörte ich, wie sie meine Worte erwiderte:
»Ich dich auch«, sagte sie. »Ich liebe dich auch, wollte ich sagen.«
An diese Geschichte dachte ich, als Janes Stimme mich aus meinen
Grübeleien holte.
»Wieso lächelst du?«, wollte sie wissen.
Das Essen war an jenem Abend eher formlos, wir nahmen uns beide in der Küche etwas auf unseren Teller, und ich hatte mir diesmal
nicht die Mühe gemacht, eine Kerze anzuzünden.
»Denkst du noch manchmal an den Abend, als du mich in Durham
besucht hast?«, fragte ich. »Als wir es endlich geschafft hatten, bei
Harper’s zu essen?«
»Das war, nachdem du den Job in New Bern angenommen hattest,
stimmt’s? Und du hast gesagt, das müssten wir feiern.«
Ich nickte. »Du hattest ein schulterfreies schwarzes Kleid an.«
»Das weißt du noch?«
»Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen! Wir hatten uns
einen ganzen Monat nicht gesehen, und ich stand am Fenster, als du
aus dem Auto gestiegen bist.«
Jane schien meine Schilderung zu genießen.
»Ich weiß sogar noch, was ich in dem Moment gedacht
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