Ein Tag wie ein Leben
nickte zufrieden. Dann richtete er sich auf und fragte: »Ist Jane
mit Anna unterwegs?«
»Ja, sie sind vor einer Stunde losgefahren.«
»Und Leslie?«
»Sie trifft sich in Raleigh mit ihnen.«
»Das wird wirklich eine schöne Sache«, murmelte er. »Das Wochenende, meine ich. Wie klappt’s denn so? Was ist mit dem Haus?«
»Es läuft alles gut«, sagte ich. »Am Donnerstag wird dann das Haus
hergerichtet. Eigentlich bin ich optimistisch.«
»Was hast du heute vor?«
Ich zählte auf, was alles auf meiner Liste stand, und er pfiff anerkennend durch die Zähne. »Klingt, als hättest du noch einiges vor
dir.«
»Stimmt. Aber bisher war das Glück auf meiner Seite.«
»Das würde ich auch sagen«, sagte er. »Nur ich hätte dich beinah
im Stich gelassen! Mein Sturz hätte alles vermasseln können.«
»Ja, aber - wie gesagt, das Glück ist auf meiner Seite.«
Er hob den Kopf. »Und was ist mit eurem Hochzeitstag?«
Ich dachte daran, wie viel Zeit ich in die Vorbereitungen investiert
hatte - ich hatte unzählige Telefongespräche geführt, war ständig
zum Postfach gelaufen, hatte alle möglichen Geschäfte und Boutiquen aufgesucht. In den Mittagspausen und während jeder freien
Minute im Büro hatte ich an dem Geschenk für Jane gearbeitet und
intensiv darüber nachgedacht, wie ich es ihr am besten überreichen
konnte. Sämtliche Mitarbeiter in der Kanzlei wussten über meine
Pläne Bescheid, und alle hatten mir hoch und heilig versprochen,
nichts zu verraten. Mehr noch, sie hatten mich unglaublich unterstützt, denn ohne Hilfe hätte ich dieses Geschenk niemals zustande
gebracht.
»Donnerstagabend«, sagte ich. »Es sieht so aus, als wäre das unsere
einzige Chance. Heute Abend ist Jane nicht da, morgen wird sie
vermutlich dich besuchen wollen, und am Freitag sind Joseph und
Leslie schon da. Und der Samstag ist natürlich ausgeschlossen.« Ich
schwieg für einen Moment. »Hoffentlich freut sie sich.«
Noah lächelte. »Davon bin ich überzeugt, Wilson. Du hättest dir
kein schöneres Geschenk ausdenken können, nicht für alles Geld der
Welt.«
»Na, hoffen wir mal, dass du Recht hast.«
»Natürlich habe ich Recht! Und ich kann mir keinen besseren Auftakt zum Wochenende vorstellen.«
Er klang so überzeugt, dass mir wieder ganz warm ums Herz wurde, und ich war gerührt, weil ich spürte, wie gern er mich mochte -
obwohl wir doch so verschieden waren.
»Immerhin hast du mich auf den Gedanken gebracht«, erinnerte ich
ihn.
Noah schüttelte den Kopf. »Nein. Die Idee geht ausschließlich auf
dein Konto. Ideen für Geschenke, die von Herzen kommen, kann nur
der Schenkende selbst für sich beanspruchen.« Er klopfte sich auf die
Brust, als wolle er mit dieser Geste sein Argument unterstreichen.
»Allie wäre bestimmt begeistert«, sagte er. »Sie war in diesen Dingen immer wunderbar sentimental.«
»Ich fände es so schön, wenn sie dieses Wochenende bei uns sein
könnte!«
Noah blickte auf den Briefstapel. Ich wusste, er sah Allie vor sich,
und in dem Moment wirkte er ganz jung.
»Ich auch«, sagte er fast unhörbar.
Als ich den Parkplatz überquerte, hatte ich Angst, die Hitze würde
mir die Fußsohlen versengen. Die Gebäude in der Ferne schienen in
der flirrenden Luft zu zerfließen, und ich spürte, dass mein Hemd am
Rücken klebte.
Ich fuhr die kurvigen Landstraßen entlang, die mir so vertraut waren wie die Wege in unserem Viertel.
Das Low Country hier in der Nähe der Küste besaß eine karge
Schönheit, die ich sehr liebte. Ich kam an alten Farmen und verlassen
wirkenden Tabakscheuern vorbei. Weihrauchkiefern trennten ein
Grundstück vom nächsten, am Horizont fuhr ein Traktor, gefolgt von
einer Wolke aus Staub.
An manchen Stellen gab die Straße den Blick auf den Trent River
frei, der träge in der Sonne glitzerte. Eichen und Zypressen säumten
sein Ufer, die hellen Stämme und die knorrigen Wurzeln warfen geheimnisvolle Schatten. Spanisches Moos hing in wurzellosen Strängen von den Ästen herunter, und als das Farmland allmählich in
Wald überging, musste ich daran denken, dass während des Bürgerkriegs die Soldaten ebendiese Bäume gesehen hatten.
Vor mir tauchte nun ein Blechdach auf, das im Sonnenlicht schimmerte, dann erschien das Haus selbst - und wenig später war ich am
Ziel.
Ich blieb in der von Bäumen gesäumten Auffahrt stehen und betrachtete das Haus. Man sah auf den ersten Blick, dass es nicht mehr
bewohnt war. Seitlich stand die verblasste rote Scheune, in der Noah
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