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Ein Tag wie ein Leben

Ein Tag wie ein Leben

Titel: Ein Tag wie ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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nahm seine Brille ab und rieb die Gläser mit seinem Hemdzipfel
sauber. »Ja, ich muss schon sagen - es hat mir richtig Leid getan, wie
es in den letzten Jahren heruntergekommen ist. Dabei hätte es nur
einen einzigen Menschen gebraucht, der sich darum kümmert.« Mit
einem freundlichen Lächeln setzte er seine Brille wieder auf. »Es ist
komisch, aber ist Ihnen das auch schon einmal aufgefallen - je kostbarer etwas ist, desto eher nehmen die Menschen es als selbstverständlich hin. Sie glauben, dass es immer so bleiben wird und sich
nie ändert. Genau wie das Haus hier. Ein bisschen Zuwendung und
regelmäßige Fürsorge hätten genügt, und es wäre nie so weit gekommen.«
    Als ich nach Hause kam, fand ich auf dem Anrufbeantworter zwei
Nachrichten vor: Die eine war von Dr. Barnwell, er teilte mir mit,
Noah sei bereits wieder in Creekside. Die andere stammte von Kate:
Sie wolle mich ebendort gegen neunzehn Uhr treffen.
    Als ich in Creekside eintraf, hatten die meisten Familienmitglieder
Noah bereits einen Besuch abgestattet und waren wieder gegangen.
Nur Kate saß noch bei ihm. Als ich eintrat, legte sie warnend den
Finger an die Lippen, stand leise auf und umarmte mich.
    »Er ist gerade eingeschlafen«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Ich glaube,
er war völlig erschöpft.«
Verdutzt schaute ich zu Noah hinüber. Nun kannte ich ihn schon so
viele Jahre, aber dass er am frühen Abend ein Schläfchen hielt, hatte
ich noch nie erlebt. »Ist sonst alles in Ordnung?«, fragte ich mit gedämpfter Stimme.
»Na ja, er war ziemlich knurrig, als wir ihn hierher gebracht haben,
aber insgesamt geht es ihm gut, glaube ich.« Sie zupfte mich am Ärmel. »Jetzt erzähl mal - wie ist es heute gegangen? Wie sieht das
Haus aus? Ich will alles ganz genau hören.«
Ich schilderte ihr die fantastischen Fortschritte. Man sah ihr an, wie
sehr sie sich freute. »Jane wird glückselig sein!«, flüsterte sie. »Ach,
dabei fällt mir ein - ich habe vorhin kurz mit ihr telefoniert. Sie wollte wissen, wie es Daddy geht.«
»Haben sie ein Kleid gefunden?«
»Das muss sie dir selbst erzählen. Aber sie klang ziemlich zufrieden.« Kate griff nach ihrer Handtasche, die an der Stuhllehne hing.
»Ich gehe jetzt lieber. Ich war den ganzen Nachmittag hier, und
Grayson erwartet mich sicher schon sehnsüchtig.« Sie küsste mich
auf die Wange. »Pass gut auf Daddy auf! Ich denke, du solltest ihn
weiterschlafen lassen - er braucht Ruhe.«
»Ich werde mucksmäuschenstill sein«, versprach ich.
Ich wollte mich gerade auf den Stuhl beim Fenster setzen, als ich
ein heiseres Flüstern hörte.
»Hallo, Wilson. Danke, dass du gekommen bist.«
Als er mein verwirrtes Gesicht sah, zwinkerte er mir zu.
»Ich dachte, du schläfst!«
»Ach, Unsinn.« Er setzte sich auf. »Ich musste so tun, als ob. Meine Tochter hat mich den ganzen Tag umsorgt wie ein kleines Baby.
Sie wollte mich sogar wieder auf die Toilette begleiten.«
Ich lachte. »Davon hast du immer geträumt, stimmt’s? Dass dich
deine Kinder verhätscheln?«
»Ja, klar, das hat mir gerade noch gefehlt. Als hätte der Zirkus im
Krankenhaus nicht schon gereicht. So wie die sich aufgeführt hat,
könnte man meinen, ich stehe mit dem einen Fuß im Grab und mit
dem andern auf einer Bananenschale.«
»Na, du bist wohl wieder auf dem Damm - sehe ich das richtig?«
»Könnte besser sein«, sagte er mit einem Achselzucken. »Könnte
aber auch wesentlich schlechter sein. Mein Kopf ist absolut in Ordnung, falls du das meinst.«
»Keine Schwindelgefühle? Keine Kopfschmerzen? Vielleicht solltest du dich trotzdem ausruhen. Soll ich dir etwas Joghurt füttern?«
Er drohte mir mit dem Finger. »Fang du nicht auch noch an! Ich bin
geduldig, aber ein Heiliger bin ich auch nicht. Und ich habe nicht die
geringste Lust, mich noch länger auszuruhen. Seit Tagen bin ich eingesperrt und konnte kein bisschen frische Luft schnuppern.« Er deutete auf den Schrank. »Wärst du so nett und würdest mir meine Jacke
geben?«
Ich ahnte schon, was er vorhatte.
»Es ist immer noch ziemlich warm draußen«, sagte ich.
»Gib mir meine Jacke«, sagte er. »Und falls du die Absicht haben
solltest, mir beim Anziehen zu helfen, kriegst du eins auf die Birne.«
Wenig später waren wir unterwegs nach draußen, das Wonderbread
in der Hand. Noah schlurfte zielstrebig vorwärts, und man spürte
richtig, wie er sich entspannte. Creekside würde uns anderen immer
fremd bleiben, aber für Noah war es die neue Heimat, hier

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