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Ein Tag wie ein Leben

Ein Tag wie ein Leben

Titel: Ein Tag wie ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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verhört zu haben, doch an seinem Gesicht
konnte ich erkennen, dass er es ernst meinte. Ich musste daran denken, dass ich in Allies Gartenbildern oft diese Melancholie wahrgenommen hatte.
»Wieso?«
Wieder blinzelte Noah in die Sonne. Dann seufzte er tief. »Sie hat
immer gesagt, der Rosengarten sei wunderschön, aber der Anblick
tue ihr weh. Jedes Mal, wenn sie aus dem Fenster schaute, kamen ihr
die Tränen, und manchmal konnte sie gar nicht mehr aufhören zu
weinen.«
Ich wusste gleich, wovon er redete.
»Wegen John«, sagte ich leise. John war Janes Bruder, der mit vier
Jahren an einer Hirnhautentzündung gestorben war. Meine Frau
sprach genauso selten von ihm wie Noah.
»Ja, der Verlust hat sie fast umgebracht.« Er schwieg. »Mich auch.
John war so ein süßer kleiner Junge - und genau in dem Alter, in dem
Kinder anfangen, die Welt zu entdecken, und alles so spannend finden. Er hat immer versucht, mit den größeren Kindern mitzuhalten,
er ist im Garten hinter ihnen her gerannt, und er war völlig gesund.
Er hatte nie eine Mittelohrentzündung oder auch nur einen Schnupfen gehabt! Deshalb war es solch ein Schock. Gerade hatte er noch
im Garten gespielt - und eine Woche später mussten wir ihn begraben. Danach konnte Allie lange Zeit weder essen noch schlafen, und
wenn sie nicht gerade weinte, ist sie wie in Trance durchs Haus gewandert. Mehr als einmal habe ich befürchtet, sie käme nie darüber
weg. Und in dieser Phase wollte sie, dass ich den Garten umgrabe.«
Noah verstummte. Ich schwieg ebenfalls. Was hätte ich als Trost
sagen können? Ich wusste, dass niemand, der es nicht selbst durchgemacht hat, sich vorstellen kann, wie es ist, ein Kind zu verlieren.
»Und warum hast du es nicht getan?«, fragte ich ihn nach einer
Weile.
»Weil ich dachte, es sei der Schmerz, der sie das sagen ließ«, antwortete er leise. »Ich war mir nicht sicher, ob sie es wirklich wollte
oder ob sie es nur sagte, weil sie so litt. Also habe ich abgewartet und
mir eine Strategie zurechtgelegt: Wenn sie mich noch einmal darum
bitten würde, wollte ich es tun. Oder ich würde ihr vorschlagen, nur
das äußere Herz umzugraben. Aber sie hat nie wieder etwas gesagt.
Sie hat den Rosengarten oft als Motiv für ihre Gemälde verwendet,
allerdings konnte sie ihn nie wieder mit unbefangenem Blick betrachten. Nachdem wir John verloren hatten, war der Garten für sie
kein Glückssymbol mehr. Selbst als Kate in diesem Garten geheiratet
hat, war das für Allie mit gemischten Gefühlen verbunden.«
»Wissen eure Kinder, weshalb es fünf Herzen sind?«
»Vielleicht - aber da müssen sie selbst drauf gekommen sein. Allie
und ich haben nicht gern über diese Zusammenhänge gesprochen.
Nach Johns Tod war es leichter, den Garten als ein einmaliges Geschenk zu betrachten, nicht als fünf einzelne. Und diese Sichtweise
hat sich dann durchgesetzt. Und als die Kinder älter wurden und Fragen stellten, sagte Allie nur, ich hätte den Rosengarten für sie angelegt. Deshalb haben sie ihn immer als romantische Geste meinerseits
betrachtet.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der Schwan angeglitten kam.
Wie eigenartig, dass er sich jetzt erst zeigte! Ich erwartete, Noah
würde ihm gleich ein Stückchen Brot zuwerfen, aber nein, er schaute
den Schwan nur an. Dieser paddelte immer näher. Am Teichrand
angekommen, schien er kurz zu überlegen und kam dann aus dem
Wasser.
Unbeirrt tappte er auf uns zu. Noah streckte die Hand aus. Der
Schwan schmiegte sich hinein, und während Noah leise mit ihm redete, fragte ich mich plötzlich, ob der Schwan ihn ebenfalls vermisst
hatte.
Noah fütterte ihn jetzt, und dann - ich konnte es kaum glauben, obwohl er es mir schon erzählt hatte - ließ sich der große Vogel zu seinen Füßen nieder.
Eine Stunde später zogen Wolken auf, dicke, dunkle Regenwolken,
die ein Sommergewitter ankündigten, so wie wir es in den Südstaaten
kennen - ein Wolkenbruch, der etwa zwanzig Minuten lang dauert,
und danach klart der Himmel wieder auf. Der Schwan tappte zurück
ins Wasser, und ich wollte gerade vorschlagen, ins Haus zurückzugehen, als ich Annas Stimme hörte.
»Hallo, Grampa! Hallo, Daddy!«, rief sie. »Wir haben uns doch
gleich gedacht, dass wir euch hier finden.«
Ich drehte mich um. Anna wirkte ausgesprochen munter. Jane folgte ihr, offensichtlich etwas müder als ihre Tochter. Ihr Lächeln wirkte angespannt - es ängstigte sie, wenn sich ihr Vater am Teich aufhielt.
»Hallo, Liebling!« Ich stand

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