Ein Tag wie ein Leben
auf. Anna fiel mir um den Hals.
»Wie war es?«, fragte ich. »Habt ihr ein Kleid gefunden?«
Anna begann gleich zu schwärmen. »Du wirst total staunen, Daddy!«, sagte sie und drückte meinen Arm. »Es ist einfach perfekt.«
Nun war auch Jane bei uns. Ich ließ Anna los, um Jane zu umarmen, als wäre das wieder etwas ganz Normales zwischen uns. Sie
fühlte sich so weich an, so warm. Was für ein tröstliches Gefühl!
»Komm zu mir«, sagte Noah zu Anna und klopfte auf den Platz neben sich. »Erzähl mir, was du heute für das große Wochenende getan
hast.«
Anna setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. »Es läuft alles
absolut gut«, sagte sie. »Ich hätte nie gedacht, dass es so viel Vergnügen macht! Wir waren bestimmt in einem Dutzend Geschäfte.
Leslie fand es auch toll! Wir haben ein Kleid für sie gefunden, das
ihr wirklich gut steht.«
Jane und ich standen etwas abseits und hörten zu, wie Anna die turbulenten Aktivitäten der beiden letzten Tage schilderte. Sie redete
ohne Punkt und Komma, und zwischendurch stieß sie ihren Großvater immer wieder an oder drückte seine Hand. Obwohl ein Altersunterschied von sechzig Jahren zwischen den beiden lag, spürte man,
wie wohl sie sich miteinander fühlten. Es kommt zwar häufiger vor,
dass Großeltern ein besonders inniges Verhältnis zu ihren Enkeln
haben, aber bei Noah und Anna war es eindeutig mehr - sie waren
richtige Freunde. Mich erfüllte väterlicher Stolz. Was für eine wunderbare junge Frau Anna geworden war! An Janes gerührtem Gesicht
konnte ich erkennen, dass es ihr genauso erging wie mir, und dann
tat ich etwas, was ich seit Jahren nicht mehr spontan gemacht hatte:
Ich legte ihr den Arm um die Schultern.
Ich hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde - einen Augenblick lang schien sie fast irritiert -, aber als ich dann spürte, wie sie
sich entspannte, schien für einen Moment die ganze Welt wieder in
Ordnung. In der Vergangenheit war ich in solchen Situationen oft
hilflos gewesen und hatte nicht gewusst, was ich sagen sollte. Vielleicht hatte ich Angst gehabt, die Stimmung kaputt zu machen und
meine Gefühle zu zerreden. Aber inzwischen hatte ich etwas begriffen: Es war ein großer Fehler gewesen, dass ich meine Gedanken und
Gefühle nicht ausgesprochen hatte. Jetzt flüsterte ich Jane die Worte
ins Ohr, die ich schon so oft hätte sagen sollen:
»Ich liebe dich, Jane, und ich bin der glücklichste Mann auf der
Welt, weil ich dich habe.«
Sie erwiderte nichts, sie schmiegte sich nur an mich. Und diese
Antwort genügte mir - mehr brauchte ich nicht.
Etwa eine halbe Stunde später hörte man das erste ferne Donnergrollen. Wir brachten Noah in sein Zimmer zurück, und nachdem wir
uns am Parkplatz von Anna verabschiedet hatten, fuhren Jane und ich
nach Hause.
Gerade als wir die Innenstadt durchquerten, brach die Sonne noch
einmal durch die Wolken und warf lange Schatten. Der Fluss schimmerte im goldenen Licht ihrer Strahlen. Jane war ungewöhnlich still
und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Sie hatte die Haare
hinters Ohr gestrichen, und die rosafarbene Bluse passte ausgezeichnet zu ihrem Teint: Ihre Haut schimmerte wie die eines jungen Mädchens. An ihrer Hand glitzerte der Ring, den sie nun seit fast dreißig
Jahren trug, der Verlobungsring mit dem Diamanten und dem schmalen goldenen Band.
Wenig später bogen wir in unsere Zufahrt ein. Jane stieg aus, ein
müdes Lächeln auf den Lippen.
»Entschuldige, dass ich so schweigsam bin - ich bin einfach
schrecklich erschöpft.«
»Kein Problem. Du hast ja auch zwei anstrengende Tage hinter
dir.«
Ich trug das Gepäck ins Haus, während sie ihre Handtasche auf das
Tischchen bei der Tür stellte.
»Möchtest du einen Schluck Wein?«, fragte ich sie.
Jane gähnte und schüttelte den Kopf. »Nein, danke, heute Abend
lieber nicht. Ich würde gleich nach dem ersten Glas einschlafen. Aber ein Glas Wasser hätte ich gern.«
Ich ging in die Küche und füllte zwei Gläser mit Wasser, gab Eiswürfel dazu und reichte Jane ihr Glas. Sie trank einen kräftigen
Schluck, lehnte sich an die Arbeitsplatte, einen Fuß an den Schrank
gestützt - ihre übliche Haltung.
»Meine Füße bringen mich noch um. Wir waren den ganzen Tag
auf den Beinen, sozusagen ohne Pause. Anna hat sich ein paar hundert Kleider angeschaut, ehe sie sich entscheiden konnte. Leslie war
diejenige, die es am Ständer entdeckt hat. Ich glaube, sie war kurz
davor, die Geduld zu verlieren - Anna ist mit
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