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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Christusanbetern, die ihren Glauben zur Schau trugen, und ihm wurde bald klar, dass es die beste Tarnung war, sich offen zu zeigen. Anders als die Feiglinge in den Großstädten, die sich in ihre Häuser verkrochen und hofften, sie wären in Sicherheit, lud er Dorfbewohner in sein Wohnzimmer ein. Sollte er je angeklagt werden, könnte ein ganzes Dorf aufrichtig sagen: »Ich habe bei ihm im Haus gegessen. Er hat einen Koran und muslimische Freunde. Wenn er Christ wäre, wüsste ich das.« Es war klug von ihm, das Brot seiner Nachbarn in Öl zu tunken, sie von Spionen und Spitzeln in Freunde zu verwandeln.
    Während der Revolution gab es in Cheshmeh keine Straßenschlachten oder Proteste, bloß Radiosendungen und neue Vorschriften – keine ausländischen Logos, keine nicht muslimische Musik mehr. Bald tauchten in den größeren Städten überall
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in ihren olivgrünen Uniformen auf, hockten dicht gedrängt in kamelfarbenen Jeeps, schleppten Leute zu den Büros der
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– der Polizeieinheit, die 1979 aus den Moscheen quoll und anfing, den Leuten zu erzählen, dass alles Sünde sei. Im Laufe der Jahre wurde es immer schlimmer. Man kann deinen Knöchel sehen? Sünde! Deine Fingernägel sind rot? Sünde! Deine Haut ist gebräunt? Du musst unbedeckt in der Sonne gewesen sein. Sünde! Sünde! Sünde! Wenn du deine Sonnenbrille oben auf dem Kopf trägst, bist du zu eitel. Wenn deine Jeans in den Stiefeln stecken, zeigst du dich zu sehr. Man stelle sich das vor. Ich sagte im Scherz, wenn sie Nasenoperationen zur Sünde erklären und mit einer Geldstrafe belegen würden, gäbe es viel Geld aus Teheran. Bahareh war wegen alldem außer sich vor Wut. Die meisten von uns waren zu verängstigt, um etwas zu sagen, und froh, in einem ruhigen Dorf mit nur wenigen
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zu leben. Allmählich, nach einigen Jahren, litten die Frauen immer mehr unter den obligatorischen Kopftüchern und langen, dunklen Manteaus. Selbst hier, wo es zu unserer traditionellen Tracht gehört, das Haar zu bedecken, und wo wir noch immer unbesorgt Farben tragen können, ist ein Gefühl des Verlustes zu spüren, weil wir unsere Sittsamkeit nicht frei gewählt haben. Das spüre ich selbst bei den Frömmsten unter uns. Wir Leute vom Lande fallen eigentlich nur dann auf, wenn wir in die Städte reisen oder an Verkaufsständen entlang von Küstenstraßen unsere Handarbeiten aus Stroh feilbieten. In den großen Städten kann alles Mögliche passieren. Einmal, als Ponneh gerade dreizehn war, wurde sie in Rasht angehalten, weil ihr Manteau an der Seite geknöpft wurde und dadurch etwas modischer war, obwohl er noch immer alles bedeckte. Sie waren nie zufrieden. Sie wollten uns in Staub verwandeln.
    Wenn Sie Leute aus dem Norden fragen, deren Lebensrhythmus vom Meer bestimmt wird, werden die ihnen sagen, dass eine der schlimmsten neuen Vorschriften den Strand betraf. Vor der Revolution machten wir mit unseren Familien oft Ausflüge ans Meer, aßen zusammen, schwammen zusammen. Die Frauen trugen beschämend knappe Badeanzüge und zogen sich in Strandhütten um, die nach nassem Bambus und Schilfmatten rochen. Dann fingen sie an, riesige Vorhänge quer über den Strand zu spannen, alte, schmutzige Stoffstücke voller Löcher und Risse, um Männer und Frauen zu trennen, Eheleute, Töchter und Väter. Manchmal teilten sie den Strand nach Tageszeiten auf – die Vormittage für die Männer, die Nachmittage für die Frauen. So oder so, vorbei war es mit dem Badevergnügen der ganzen Familie. Vorbei war es mit dem Spaß. Frauen mussten vollständig angezogen schwimmen und waren angehalten, ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Kleine Mädchen sahen sehnsüchtig zu, wie Jungen in Shorts im Wasser planschten, ohne sich drum zu scheren, ob sie leise waren oder nicht. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Hafezi-Zwillinge an dem Tag, an dem wir Mahtab verloren, dachten, nachts schwimmen zu gehen wäre schöner.
    Zwischen 1979 und 1981 hörten wir von Freunden in Teheran von Unruhen. Wir hörten von Folter und Hinrichtungen und Schüssen in Menschenmengen. Manch einer verschwand und kehrte nie wieder. Der Schah floh. Die Geistlichen übernahmen die Macht, hängten überall Bilder von Ayatollah Khomeini auf und füllten die Straßen mit Plakaten, die blutige Fäuste zeigten und »Tod den USA « verkündeten. In der ersten Zeit nach der Revolution blieben die Schulen geschlossen, und die Hafezi-Mädchen hockten in ihrem Zimmer, lasen ihre Bücher und hörten

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