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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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nicht neben ihr in die Tiefe hat fallen lassen, weil sie die Welt nicht so verlassen hat, wie sie auf die Welt gekommen ist, nämlich zusammen mit Mahtab, und damit einen Abgrund zwischen ihnen aufgetan hat, den alle Teelöffel im ganzen Iran nicht füllen könnten.
    Der
pasdar
kommt auf sie zu. Ponneh, die wieder einsteigen will, ist mit einem Bein im Auto, hat den Fuß des anderen noch draußen auf dem Schotter. Dr. Zohreh hilft Ponneh ganz in den Wagen. Rezas Augen sind bereits fest auf den näher kommenden
pasdar
gerichtet, und er macht einen Schritt weg von den Frauen.
    »Salam alaikum«
, begrüßt der
pasdar
Reza. »Was sind das für Frauen bei Ihnen?«
    Reza macht sich nicht kleiner, wie er das früher angesichts eines
pasdars
immer getan hat. Er tut nichts, um den Größenunterschied zu kaschieren. Saba meint sogar zu sehen, dass er die Schultern ein wenig zurücknimmt.
    »Ich hab gesehen, dass sie Hilfe brauchen«, sagt er. »Es sind Nachbarinnen von mir. Mein Wagen steht gleich da drüben.«
    »Papiere«, bellt der
pasdar
Dr. Zohreh an.
    Dr. Zohreh greift in die Tasche und holt ihren Ausweis hervor. Saba betet, dass der
pasdar
nicht in die Autos schaut, dass er die Kameras nicht bemerkt. Dr. Zohreh zeigt ihm völlig ruhig ihre Papiere. »Ich bin Ärztin«, sagt sie. »Diese jungen Frauen sind meine Patientinnen.«
    Der
pasdar
beugt sich vor und betrachtet Ponneh im Fond des Wagens prüfend. Saba hält den Atem an, hofft inständig, dass er die Kameras nicht entdeckt. »Ich hab das Mädchen da auf dem Platz gesehen … Was soll dieses hysterische Verhalten?« Er wartet auf eine Antwort, aber Ponneh starrt ihn bloß an, die Augen rot gerändert, die Wangen aufgedunsen. Sie versucht, drohend zu schauen, aber mit einer laufenden Nase und fassungslosen Augen, die soeben einen Menschen haben sterben sehen, ist das nicht leicht. Er murmelt: »Wir sollten nicht zulassen, dass Frauen und Kinder sich so etwas anschauen. Das ist unwürdig.« Dann richtet er sich auf, und Saba denkt, dass er jetzt das Wageninnere untersuchen will. Aber er nickt bloß und wendet sich wieder Richtung Platz. Im Weggehen sagt er zu Reza: »Gehen Sie zu Ihrem eigenen Wagen. Das hier geht Sie nichts an.«
    Wortlos kramen sie nach ihren Autoschlüsseln und fahren los. Die Dämmerung senkt sich herab, während Saba Dr. Zohrehs orangegelbem Jian und Rezas grünem Paykan nach Norden Richtung Cheshmeh folgt.
    Ponneh ruht auf der Rückbank von Sabas Wagen, und sie fahren eine Weile schweigend. Saba zählt die Sekunden, wartet darauf, dass ihre Freundin ins Leben zurückfindet. Sie verlassen das Dorf über abschüssige Landstraßen, und als sie auf der Schnellstraße sind und die vertrauten felsigen Böschungen ihnen signalisieren, dass sie auf dem Heimweg sind, überlegt Saba krampfhaft, was sie sagen soll. Sie denkt daran, wie klein Farnaz aussah, als sie da in der Luft baumelte, die Füße gekreuzt wie ein schüchternes Kind in einem viel zu großen Sessel, und sie weiß, dass auch Ponneh an sie denkt. Dass Farnaz sie noch lange Zeit verfolgen wird.
    Der Wald taucht am Horizont auf. Ponneh ist zusammengesunken, ihr Körper ein Häufchen Elend in einer Ecke der breiten Rückbank, die Augen so blutunterlaufen, dass nichts Weißes mehr zu sehen ist. Saba blickt immer mal wieder in den Rückspiegel, greift dann nach hinten und tastet nach Ponnehs Hand. Sie wendet sich um und kann sich nicht länger beherrschen: »Ponneh-dschan, ich ertrage es nicht, dass du denkst, es wäre deine Schuld.« Sie erinnert sich an den Tag, an dem sie selbst in einem solchen Zustand war. Was hätte Saba damals hören wollen? Vielleicht sollte Ponneh die Tatsache akzeptieren, dass so vieles in dieser neuen Welt unkontrollierbar ist; dass Farnaz’ Schicksal nicht wegen ein paar experimentierfreudiger Nachmittage besiegelt wurde, sondern weil eine unverheiratete junge Frau den Versuch gewagt hat, ihre Peiniger auszutricksen. »Wenn das deine Schuld ist«, sagt sie, »dann muss das, was mir passiert ist, auch meine Schuld sein … und das glaube ich nicht. Es ist verlockend, aber nein …« Ponneh setzt sich auf. »Es hat mit Abbas zu tun.« Sabas Hände gleiten wie von selbst am Lenkrad hinab. Die Strahlen der untergehenden Sonne leuchten unter der filzbezogenen Blende hindurch und wärmen ihre Haut. »Ich hab lange gedacht, es wäre meine Schuld«, sagt sie. »Ich hätte die Ehe annullieren lassen und in Kauf nehmen sollen, dass ich enterbt werde.«
    »Wovon

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