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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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oder patrouillierende
pasdars
oder neugierige Nachbarn oder den Knoblauch. Sie denkt an seine Füße in der Vorratskammer – wie sie beide, barfuß und leicht betrunken im Dunkeln, es nur wagten, die Zehen des anderen zu berühren. »Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagt sie.
    »Du schmeckst nach Auberginen-
khoresht
«, witzelt er.
    Sie drückt gegen seine Brust und will sich von ihm lösen, aber er lässt sie nicht los. »Wenn das so ist«, sagt sie, »bekommst du nichts davon ab.«
    Sie verbringen den Abend in seliger Ungestörtheit, genießen die vielen privaten Vergnügungen in Sabas Haus. Sie waren noch nie einen ganzen Abend zusammen allein. Haben noch nie ohne ihre Familien eine richtige Mahlzeit geteilt. Sie essen zunächst am Küchentisch, beschließen dann aber, doch lieber einen
sofreh
im Wohnzimmer zu decken, wo sie gemeinsam auf einem Berg Kissen ruhen, sich ausstrecken und einander mit Lammfleischstückchen und in Eintopf getunktem Brot füttern. »Ein Jammer, dass wir nicht in der Vorratskammer deines Vaters sind«, sagt Reza, und Saba fällt ein, dass sie noch einen Beutel Haschisch hat. Reza dreht mit einer leeren Seite, die er aus einem ihrer Bücher reißt, einen Joint, und sie legen sich wieder auf die Kissen, rauchen, nehmen sich dann und wann einen Happen Essen mit den Fingern, die Köpfe aneinandergedrückt, Sabas Walkman straff gespannt über ihrer beider Ohren. Sie hören sich Janis Joplin an, Madonna, die Beatles, Michael Jackson und eine Reihe von Künstlern, deren Namen der Teheraner falsch aufgeschrieben hat, wie Saba vermutet. Als Tracy Chapmans honigweiche Muschelschalenstimme die ersten Noten von »Fast Car« raunt, seufzt keiner von ihnen, und sie sprechen auch nicht von dem letzten Mal, als sie das Lied hörten. Sie lauschen und summen leise mit. Dann legt Saba die Kassette mit ihren Lieblingssongs über das Meer ein. Die besten spart sie bis zum Schluss auf: »Sittin’ on the Dock of the Bay« und »Downeaster Alexa«.
    Als Reza ihre Taille umfasst und sie an sich zieht, kommen ihr Zweifel, ob es ein Fehler ist, sich
so
auf ihn einzulassen. Hat sie nicht gelitten, um ihn sich aus dem Herzen zu reißen? War er nicht schwach, als sie ihn brauchte? Aber Reza war so jung, als er zuließ, dass sie verheiratet wurde. Was hätte er machen können? Und er hat sich seitdem entschuldigt. Er war tapfer und sanft, ein wahrer Freund. Sie denkt an den Tag von Farnaz’ Hinrichtung, als er ihnen gefolgt war. Bestimmt hat Reza sich verändert, genau wie sie. Und jetzt entscheidet er sich für sie, trotz aller Prophezeiungen von seiner Mutter und ganz Cheshmeh. Vielleicht benutzt er sie, weil Ponneh noch immer nicht heiraten darf. Aber vielleicht benutzt Saba ihn ja auch. Warum nicht?
    Es könnte sein, dass Saba eines Tages weit weg von hier ist, und dann wird sie an ihn denken – ihren schönen Freund, der sich vor ihr in Szene setzte, vor ihrem Haus mit Sandalen an den Füßen seinen Fußball kickte. Wenn sie diese Chance verstreichen lässt, wird sie sich fragen, wie sich seine Haut und sein Haar angefühlt hätten, wie es gewesen wäre, ein- oder zweimal auf ihm zu liegen.
    »Nicht hier«, sagt sie und hat plötzlich Angst davor, was sie bei ihrem ersten Mal mit einem Mann empfinden wird. Wie groß ist der Schaden, der ungesehen in ihr wartet? Sollte sie ihm ihr Geheimnis verraten? Sie schmiegt die Wange an seinen Hals. »Die Nachbarn werden es mitbekommen.«
    Er nimmt ihre Hand. »Wo können wir uns denn dann in diesem Kaff treffen?«
    »Ich weiß eine Möglichkeit. Dr. Zohreh hat mir den Schlüssel gegeben.«
    * * *
    Zweimal die Woche sitzt Saba bei Anbruch der Abenddämmerung im Wagen ihres Vaters und fährt zu der Hütte am Meer. Falls sie Abbas’ Vermögen verliert und die Welt durchstreifen muss, um irgendwie in ein neues Land zu gelangen, dann sollte sie das Hier und Jetzt genießen. Warum in der Vorratskammer sitzen und von Dingen träumen, die sie sich einfach nehmen kann? Sie weiß noch, wie sie glücklichen Erinnerungen an das Kaspische Meer ihrer Kindheit nachhing. An das kalte Wasser, das Salz auf ihrer nackten Haut zurückließ. An nackte Haut. An Fische, die über dem Lagerfeuer gebraten wurden. Das Familienauto, das an einem Wintertag einen kleinen, flachen, felsigen Hügel hinauffuhr und kaum Halt fand auf der mal staubigen, mal vereisten unbefestigten Straße, die in den Berghang gehauen war. Das Meer, grau und nebelig, dann Hügel, Berge und Felsen. Und dann im

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