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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Kurz darauf biegt sie in einen kleinen Feldweg am Ortsrand und bleibt stehen. Sie sollte nicht allein hier sein. Ihr Vater will nicht, dass Saba sich zur Zielscheibe macht, wie er sich ausdrückt. Aber der Teheraner hat gesagt, er würde sich hier mit ihr treffen, also wird sie hier warten. Nach fünfzehn Minuten kommt er, ein öliger, opiumsüchtiger Zwanzigjähriger mit ungepflegtem Stoppelbart, gelben Zähnen und einer bereits kahlen Stelle mitten in seinen zu langen Haaren. Er hält ihr eine schwarze Plastiktüte vor die Nase.
    »Tausend Toman«, sagt er. Keine Begrüßung, wie üblich. Saba weiß nicht mal, wie der Teheraner mit Vornamen heißt. Nur, dass er der Vetter von irgendjemandes Vetter ist und verbotene Schätze aus Teheran zum Verkauf anbietet. Die meisten Videomänner sind sauberer, achten mehr auf ihre Kleidung. Doch Saba hält sich an ihn, weil er was von der Materie versteht. Keine dümmliche Analyse von Filmen, die er nicht gesehen hat, keine nutzlosen Vorschläge. »Ja,
India Jones
«, hat ihr mal ein Videomann empfohlen, »ein sehr schöner indischer Liebesfilm.« Der Teheraner ist dagegen ein Kenner.
    Sie greift in ihre Tasche und gibt ihm ein paar Scheine. Er lacht.
    »Pro Stück«
, sagt er. »Ich hab gute Ware mitgebracht. Alles diesen Monat reingekommen.« Er blickt sich um. »Im Preis sind Anfahrt und Sonderbestellung inbegriffen. Ich mach das nur für Sie.«
    »Trotzdem teuer. Lassen Sie mich erst reinschauen«, sagt sie, und als er zögert, schiebt sie nach: »Was denn, denken Sie, ich lauf damit weg?« Er grinst und reicht ihr die Tüte. Saba späht hinein. Sie versucht, nicht vor Begeisterung aufzukeuchen, weil das den Preis weiter in die Höhe treiben könnte. In der Tüte sind sechs Zeitschriften, die Hälfte davon Modezeitschriften, keine älter als ein Jahr, zwei Videobänder und fünf Audiokassetten. Ganz unten entdeckt sie einen abgegriffenen Roman ohne Deckblatt. »Großer Gott«, flüstert sie.
    Der Teheraner schmunzelt. Seine Schultern verkrampfen sich, als Saba einmal kurz nach hinten blickt und ihm dann einen Arm um den verschwitzten Hals schlingt. »Schon gut, schon gut«, sagt er. »Ich hab doch gesagt, ich besorge ihn, oder?«
    Sie nimmt den Roman in die Hand.
Die satanischen Verse
von Salman Rushdie. Noch nie hat Saba einen Roman in demselben Jahr gelesen, in dem er veröffentlicht wurde. Und schon gar keinen, der ihr Todesurteil bedeuten könnte.
    »Das Buch kommt teurer … wie vereinbart«, sagt der Teheraner, doch Saba kümmert das nicht, obwohl sie weiß, sie wird dieses Buch nach dem Lesen verbrennen müssen. Sie sieht die Kassetten durch. »Genau, was Sie haben wollten«, erklärt der Teheraner stolz. »Mein Mann in Amerika hat die Top-40 aus dem Radio aufgenommen, plus das Übliche: Beatles, Marley, Dylan, Redding, U2, sogar Michael Jackson, das Sprachrohr des Teufels. Die Videos sind Fernsehserien aus
diesem
Jahr. Diesmal ist der Ton klar, kaum weiße Streifen, nicht verwackelt. Glauben Sie mir, die werden Ihnen gefallen.«
    Saba drückt dem Teheraner ein Bündel Geldscheine in die Hand. Er zählt nach und sagt: »Ich hab meiner besten Kundin eine Überraschung aus Amerika mitgebracht.« Er zieht eine gelbe Flasche aus der Tasche – ein Schatz, nach dem Saba seit der Revolution täglich gesucht hat, wie nach so vielen anderen ausländischen Dingen, die sie früher mochte. »Neutrogena, nur für Sie«, sagt er. »Na los, machen Sie Ihre Freundinnen neidisch.«
    Saba öffnet die Flasche und inhaliert tief. »Sie sind die letzte gute Seele, die es noch gibt in Teheran.«
    Er hüstelt, sagt: »Wie wär’s dann mit einem Küsschen?«, und tippt sich auf die Wange. Saba hebt eine Augenbraue, wünscht ihm eine gute Rückfahrt und eilt zurück in ihren Teil des Dorfes.
    Als sie kurz vor dem Haus ist, hört sie Stimmen aus den offenen Fenstern des großen Wohnzimmers. Zuerst die schrillen Stimmen der Khanoms, angespannt und atemlos, gefolgt vom tiefen Brummeln von Männern, wahrscheinlich aus dem Dorf, bedächtig mäandernd, bemüht weise. Die Stimme ihres Vaters ist nicht darunter.
    Jemand stößt ein tiefes, dröhnendes Lachen aus. Jemand anders sagt: »Ehrlich, ich hab nicht übertrieben. Sonst soll Gott mich auf der Stelle tot umfallen lassen …«
    Saba betritt das Haus durch eine Hintertür, die in den Flur zu ihrem Zimmer führt. Drinnen wirft sie ihren Korb aufs Bett und versteckt die Tüte mit westlicher Schmuggelware unter der Matratze. Sie starrt in den

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