Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
Vom Netzwerk:
arabische Feministin erwähnt, deren Name bezeichnenderweise auf Persisch
zu viel
bedeutet. Wenn er ihr Vorträge hält, greift ihr Vater gern auf diese ihm ansonsten unwichtige Frau zurück. »Der Name sagt schon alles!«, ruft er. »Ganz gleich, welche Überzeugungen du hast, lerne Zurückhaltung.« Oft schiebt er dann noch hinterher, so als wäre das für sie ein Anreiz, sich zu benehmen: »Weißt du, den Mund zu halten, seine Meinung nicht zu äußern, ist in der westlichen Welt ein Talent herausragender Persönlichkeiten. Es beweist Selbstbeherrschung.«
    May ist ein guter Name
, denkt Saba und verschränkt die Arme, vielleicht, um ihn zu reizen.
    »Was?« Ihr Vater seufzt. »Raus mit der Sprache. Was willst du unbedingt loswerden?«
    Sie dreht sich um und sagt wütend: »Es ist ungerecht, dass du mich wie eine Kriminelle behandelst. Wann hab ich dir je irgendwelche Probleme gemacht?« In gewisser Weise ist das wahr – sie versteht es inzwischen gekonnt, ihre verbotenen Gelüste zu befriedigen, ohne sich Ärger einzuhandeln.
    Ihr Vater wirft einen Blick nach hinten Richtung Wohnzimmer. Er flüstert noch immer, doch jetzt mit beschwörendem Tonfall. »
Wann?
Ich werde dir sagen,
wann
. Praktisch jeden zweiten Tag, wenn ich dich mal wieder irgendwem gegenüber in Schutz nehmen muss. Oh nein, Khanom Alborz, das war doch nicht meine Tochter, die barfuß und mit rot lackierten Zehennägeln rumspaziert ist. Nein, nein, Mullah Khan, meine Tochter hat sich nichts dabei gedacht, als sie das gesagt hat. Nein, Khanom Basir, das war nicht meine Tochter, die Ihrem Sohn unangemessene Avancen gemacht hat. Was denkst du dir eigentlich, Saba? Wir sind hier nicht in Teheran. Hier kennt jeder jeden!«
    Die letzte Bemerkung sitzt. Sie hat so sehr versucht, sich ihre Gefühle für Reza nicht anmerken zu lassen. Jedes Mal, wenn er ihre Hand berührt hat, ist sie zurückgewichen, hat weggeschaut, mit hochrotem Kopf, wenn er sie vielsagend anlächelte. Sogar in der Vorratskammer, wenn sein nackter Fuß sich zu nah an ihren schob, hat sie versucht, nicht nachzugeben, sich zu beherrschen. »Ich hab nichts getan …«
    Aber ihr Vater ist erst am Anfang. Er tigert auf und ab, kratzt am Wandanstrich, als könnte er seine Hände nicht kontrollieren. »Was ist los? Erklär’s mir! Bist du unglücklich? Du hast die besten Lehrer und mehr ausländische Bücher als sonst wer, und all die Frauen, die sich um dich kümmern. Warum willst du deine Zukunft in Gefahr bringen?« Er zieht eine rote Haarsträhne unter ihrem Kopftuch hervor und schnippt sie beiseite. Saba wünschte, er würde mitbekommen, wie vorsichtig sie ist, wie vernünftig, vielleicht sogar durchtrieben. Und geht
er
denn etwa kein Risiko ein für
seine
vielen gefährlichen Gewohnheiten? »Du bist nicht mal bereit, dich von dieser Musik zu trennen! Ich weiß nicht … Ich wünschte –«
    Ein bestürzter Ausdruck gleitet über das welke Gesicht ihres Vaters.
    »Was denn?«, flüstert Saba.
Dass ich Mahtab wäre? Dass sie diejenige wäre, die zurückgelassen wurde?
Man hatte den Zwillingen oft erzählt, dass Saba bei ihrer Geburt die Nabelschnur um den Hals geschlungen hatte. Mahtab wartete geduldig, rosa und schön, ohne eine Träne zu vergießen, während ihre Zwillingsschwester blau angelaufen und vor schierer Ungeduld dem Tode nahe war. Einmal, auf einem Fest, hatte Saba gehört, wie eine entfernte Verwandte laut darüber nachdachte, ob diese Ungeduld als Baby bei ihr vielleicht einen Hirnschaden verursacht hatte. Immerhin war Mahtab die Klügere, oder etwa nicht?
Diejenige, die besser für Amerika geeignet war.
Als ihre Schwester noch bei ihr war, lachte Saba immer über solche Gedanken, weil Mahtab ihre andere Hälfte war und es keine Rolle spielte, welche Hälfte für gut und welche für böse gehalten wurde.
    Ihr Vater schüttelt den Kopf. »Es ist Zeit, dir einen Mann zu suchen.«
    »Du hast was anderes sagen wollen«, entgegnet sie gehässig. Ihr Vater ist ein fortschrittlicher Mann. Es geht hier nicht um Heirat. »Du wünschtest, ich wäre Mahtab.« Es wäre grotesk, vor ihrem Vater zu weinen, also versucht sie, erwachsen zu wirken, gefühllos und über kindliche Heulerei erhaben.
    Die Augen ihres Vaters weiten sich. »Was …?« Er ist aufgebracht und verwirrt. »Ja, manchmal wünschte ich, sie wäre hier!«, sagt er barsch. »Kannst du mir das verübeln? Wenn ich manches anders gemacht hätte –«
    Er wendet den Blick ab. Was denkt er? Sind das Schuldgefühle, die

Weitere Kostenlose Bücher