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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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An
korsis
werden große Lügen geboren. Ich weiß das. Gute Geschichten zu erzählen, ist meine Berufung.
    Als die Mädchen klein waren, taten sie gern so, als hätten sie besondere Fähigkeiten, und oft war ich ihr Opfer. Mahtab glaubte zum Beispiel, sie könnte mich mit Blicken töten. Einmal beging ich den Fehler, ihnen zu sagen, dass man sie seit einiger Zeit leichter auseinanderhalten könnte, weil eine von ihnen einen dickeren Bauch bekommen hatte. Ja, ja, ich weiß. Ich kann nichts dafür. Mir war noch nicht klar, dass es beängstigend für sie war, nicht genau gleich zu sein. Ha, was für Flüche hatte ich damit auf mich herabbeschworen, welche Zaubersprüche von fern und nah, die um kindliche Lagerfeuer herum gemurmelt wurden. Ha, welche Böswilligkeit wurde in Portionen von kostbarem Räucherreis gegossen, der draußen auf einem behelfsmäßigen Ofen gekocht, mit viel zu viel Salz und Sand gewürzt und mir dann als gutnachbarliches Geschenk überreicht wurde. Sicherlich hofften sie, wenn ich ihn äße, würde ich ihren Zorn spüren und alles bereuen. Nun, ich muss zugeben, dass er meine Gefühle verletzte, dieser sandige Reis. Die Vorstellung, dass sie davon träumten, wie ich mich in ein stinkendes Loch im Boden erbreche und die Götter um Vergebung anflehe. Wie die Götter die Vergebung verweigern. Wie Toiletten-Dschinn aus dem Loch springen und mir im Handumdrehen den Kopf abreißen. Ja, all diese Hinterhoffantasien bekam ich mit. Sie dachten, ich würde sie nicht hören, aber ich hörte sie. Wenn ein Kind dich als Ungeheuer bezeichnet, ist es schwer, das nicht zu glauben. Aber ich hatte meine eigenen Jungen, die mich liebten.
    Am nächsten Tag hielt ihre Mutter ihnen eine Standpauke, weil sie Dinge gestohlen und ruiniert hatten, denn der Räucherreis war für einen besonderen Anlass vorgesehen gewesen. Hinterher erzählte mir Saba, sie wünschte, sie besäße eigenes Geld, damit sie ihrer Mutter einfach hätte sagen können: »Hier, das ist für den Reis«, um dann lässig ein paar Scheine auf den Tisch zu werfen, wie die Männer im Film. Sie sagte, sie wollte mal einen bedeutenden Beruf haben, zum Beispiel als ausländische Journalistin. Was sagt man dazu? Deshalb empfehle ich für Saba eine Vernunftehe, einen Mann, der entweder reich oder viel beschäftigt ist. Sie braucht Behaglichkeit. Ihre Mutter hat ihr nur beigebracht, sich für vage Ideen einzusetzen. Sie hat nicht die Kraft und den Willen, aus Liebe zu heiraten, gegen all die Grausamkeiten zu kämpfen, die Liebende in diesen harten Zeiten erwarten.
    Kurz danach änderte sich alles. Es war 1979 und Zeit für die Revolution. Der Schah ging, und die Geistlichen kamen. In Teheran gab es Proteste wegen Frauen und ihrer Haare, und einige Zeit später war alles entschieden und besiegelt. Von da an gingen Mädchen auf eigene Schulen, sie bedeckten ihre Körper von Kopf bis Fuß, sie lernten, Angst vor den Straßen zu haben. Und Saba setzte drei neue Dinge auf ihre Liste von Dingen, die sie hasste: Männer mit langen Bärten, Wandgemälde mit blutigen Fäusten, die aus Blumenbeeten wachsen, und jede Art von Kopftuch.

Kapitel Sechs
    Herbst–Winter 1989
    S eit Saba und Ponneh erschöpft zum Abendessen gekommen sind, schallt immer wieder grölendes Gelächter durch das Haus der Hafezis – Mullah und Khanoms amüsieren sich königlich über heiliges islamisches Recht.
    »Ich hab eine Antwort für Sie!«, sagt Mullah Ali nachdenklich, während er seinen Tee schlürft. Das Abendessen ist zu Ende, und die paar verbliebenen Gäste ruhen auf Kissen rings um einen
sofreh
, auf dem sich Teller voll Gebäck und Karaffen mit heißem Tee auf Warmhalteplatten den Platz streitig machen. Es gibt
naan pandschereh
– gebackenen und mit Puderzucker überzogenen Teig in Sternform –,
baghlava
,
halva
und Windbeutel. Der Mullah hält eine dicke Metallpfeife in der Hand, die er über dem Gasofen erwärmt. »Ich hab Ihre Antwort, Khanom Alborz! Aufgepasst …« Er hebt die Hände, grinst über beide Ohren, und die anderen Gäste hängen an seinen Lippen. »Der Junge darf nicht mit Ihrer Tochter allein in einem Raum sein, was es schwierig macht, ihn als Pfleger einzustellen, richtig?«
    Ponnehs Mutter nickt. Die alte Khanom Omidi rutscht in ihrem Haus-Tschador hin und her und stupst ihre Freundin Khanom Basir an. Zu dieser vorgerückten Stunde denken sich die beiden einen schmutzigen Witz nach dem anderen aus, und Saba fragt sich, wieso das, bitte schön, in Anwesenheit

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