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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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sehr gute Verbindung«, sagt Mullah Ali in einem weisen Ton. »Er ist frommer Muslim. Er unterstützt unsere Moschee großzügig. Er hat eine junge Frau verdient.«
    Saba wirft ihrem Vater einen flehenden Blick zu. Agha Hafezi nickt nur, schaut in seine Teetasse und sagt: »Er hat mit mir gesprochen.«
    Saba stolpert, reißt sich zusammen und flüstert kaum hörbar: »Warum?«
    »Er erwägt … zu einem
khastegari
zu kommen. Und um deine Hand anzuhalten.« Als er sie endlich wieder ansieht, lächelt er schwach. »Ich habe nichts dazu gesagt. Fragen kann jeder. Das hat nichts zu bedeuten, solange wir uns nicht entschieden haben.« Saba fragt sich, warum ihr Vater ausgerechnet diesen Moment ausgewählt hat, um ihr das zu sagen, vor all diesen Leuten. Vielleicht fällt es ihm so leichter. Ihre Hände zittern, und ein Löffel rutscht von dem Stapel schmutziger Teller.
    »Keine Sorge«, sagt ihr Vater beruhigend. »Wir werden jemanden auswählen, den du magst. Jemanden in deinem Alter.«
    »Wir?« Der Mullah schüttelt den Kopf. »Sie wollen das Kind mitentscheiden lassen?«
    Agha Hafezi nickt. »Es schadet nichts, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.«
    »Wisst ihr noch, damals, als Saba sieben war?« Khanom Alborz lacht.
    »Oh nein, bitte fang nicht damit an.« Khanom Basir schüttelt den Kopf, aber Saba sieht ihren amüsierten Gesichtsausdruck. An jedem anderen Tag wäre ihr die Geschichte, von der sie weiß, dass sie nun kommt, unsäglich peinlich. Aber jetzt erinnert sie ihren Vater vielleicht daran, was ihr Herz begehrt.
    »Sie war sieben Jahre alt und hat einen
khastegari
gemacht, um um Rezas Hand anzuhalten. Wisst ihr noch? Das war zu komisch.«
    »Bitte erinnert mich nicht daran«, sagt Khanom Basir mit einem tiefen Seufzer. »Sie hat geweint und richtig Theater gemacht. So was passiert, wenn ein kleines Mädchen zu viele Freiheiten hat.« Dann beugt sie sich zu Khanom Alborz hinüber und flüstert: »Dieses Mädchen wird von tausend Dschinn verfolgt …«
    Tausend Dschinn. Wie ungerecht, dass Mahtab, die sie zu dem Heiratsantrag angestiftet hatte, als sie sieben waren, jetzt weit weg in einer anderen Welt ist und Saba hier allein mit den Vorwürfen und Eheplänen fertigwerden muss.
    Sie bringt die Teller in die Küche, stellt sie in die Spüle. Als sie aufblickt, sieht sie sich selbst im Fenster, und sie schiebt ihr kanariengelbes Kopftuch zurück, bis eine glänzende Haarlocke herausspringt und ihr über die Augen fällt. Sie geht nach draußen und gesteht sich selbst nur halb ein, dass sie nach Reza sucht. Er steht an die Mülleimer gelehnt und trinkt aus einer Papiertüte. Er wischt sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Er fragt: »Gibt’s heute irgendwelche Chancen auf die Vorratskammer?«
    »Noch nicht. Ponneh ist immer noch ziemlich fertig. Aber die Blutergüsse sind nicht ganz so schlimm.«
    »Sie kommt wieder in Ordnung«, sagt er und schüttelt kurz die Papiertüte. Sie hört die Flüssigkeit in der Flasche hin und her schwappen. Dann deutet er mit dem Kinn Richtung Haus und sagt traurig: »Weißt du, wie viele Peitschenhiebe wir dafür kriegen könnten? Für das Opium und den Alkohol?«
    Saba nickt. »Keine Angst«, sagt sie. »Sogar in Teheran machen das alle. Und falls du es noch nicht gemerkt haben solltest, der Mullah ist süchtig. Er würde es nicht verkraften, diesen gastlichen
sofreh
zu verlieren.«
    Sie bleiben ein paar Minuten so stehen, Seite an Seite gegen die Mülltonnen gelehnt, ohne ein Wort zu sagen. Reza seufzt und schüttelt den Kopf. »Seltsame Zeiten«, sagt er.
    »Ja.«
    »Ich hab mit Mullah Ali über Mustafa gesprochen«, sagt Reza. »Irgendwas wird mit ihm passieren. Da bin ich sicher.« Aber er wirkt alles andere als sicher. »Ich wünschte, ich könnte ihn eigenhändig umbringen.«
    Saba nickt. »Es war beängstigend, wie sehr er sie hasst.« Sie denkt an etwas, das ihre Mutter zu ihr gesagt hat, ehe sie den Iran verließ. Dass die Mullahs alle westlichen Kunstwerke aus der Privatsammlung der Königin in einen Keller schaffen und wegsperren ließen, sodass niemand sie mehr anschauen konnte. All diese schönen Stücke. Warhol. Picasso. Rivera.
Genau das macht dieses Regime
, sagte ihre Mutter.
Sie sperren schöne Dinge an dunkle Orte, damit sie keiner mehr sieht.
    Reza beginnt, eine langsame, vertraute Melodie zu summen. Will er sie mit diesem eingängigen amerikanischen Song trösten? Kennt er überhaupt den Text? Reza glaubt, dass die Musik das einzig

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