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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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gestolpert.
    »Hallo! Sieh einer an. Da ist ja
Mah
-tab von nebenan.« Simone, eine unzufriedene New Yorker Prinzessin, kümmert sich nicht darum, wie Mahtab genannt werden will. Sie spricht Mahtabs Namen so oft aus, wie sie nur kann, mit deutlicher Betonung, wie einen Vorwurf. Sie feuert den Namen geradezu ab, scharf und mit erstaunlicher Treffsicherheit. Sie verändert seine Bedeutung, macht aus ihm eine Waffe.
Du bist eine Schwindlerin
, sagt sie. »Willst du mit uns ausgehen?« Sie beäugt den kaputten Schuh mit der Verachtung der amerikanischen Oberschicht, zu deren Erklärung ein ganzer Vortrag über die Geschichte ihres Volkes erforderlich wäre. Entscheidend ist, dass sie im Grunde keine Geschichte haben. Wenn Amerika etwas fehlt, dann ist es Alter, und manche Amerikaner gleichen das mit Herablassung aus.
    »Lass sie in Ruhe. Muslime trinken keinen Alkohol«, sagt eine dritte Mitbewohnerin – die mit den klackernden Absätzen –, während sie im Flurspiegel Lippenstift aufträgt.
    »Ich bin … keine Muslimin, eigentlich«, sagt Mahtab.
    Die dritte Mitbewohnerin lächelt süßlich. »Ja, aber
kulturell
schon, oder?«
    Khanom Mansuri lacht leise, weil es so wohltuend ist, sich über gebildete Amerikaner lustig zu machen. »Den Teil hast du mir zuliebe erfunden.«
    Na schön, kann sein, dass ich das im Fernsehen mitbekommen hab.
    Nachdem Clara vergeblich nach Kleber gesucht hat, kommt sie mit einigen Paar Stöckelschuhen zurück, manche schwarz, manche blutrot wie die von Mahtab. »Ich kann dir welche von mir leihen«, sagt sie, weil Clara wie die meisten jungen Amerikanerinnen Tausende von Schuhen besitzt, die sie wegwirft wie Maiskolbenblätter, sobald sie sie ausgezogen hat. Sie ist sogar noch schuhverrückter als unsere Ponneh, aber die Amerikanerin, die wegen ihrer Pumps geschlagen wurde, musst du mir erst mal zeigen.
    Mahtab dankt ihr. »Wo wollt ihr denn hin?«
    Clara sagt – und jetzt muss ich aufpassen, dass ich das genau richtig wiedergebe –: »Ich geh mir
Lord of the Flies
ansehen, und die beiden hier wollen im Fox rumhuren.«
    Ha! Was für eine Antwort! Ich wünschte, du könntest verstehen, wie bissig das Verb
rumhuren
im Englischen ist. Ich hab es mal gedruckt gesehen, und es klingt nicht ganz so widerwärtig, wie es aus gehässigen Mündern wie dem von Mustafa klingt. Diese Amerikaner haben die wunderbarsten Ausdrücke.
    »Das hab ich alles nicht verstanden«, sagt Khanom Mansuri. »Möchtest du Tee? Ich möchte Tee.«
    Ist ja gut, ich erklär’s gleich.
Lord of the Flies
ist ein alter Schwarz-Weiß-Film über ein Buch, in dem es um die Bosheit von Jungen geht, die allein in einer Welt ohne weibliche Güte leben. Der Fox ist ein exklusiver Privatklub nur für Männer in Harvard. Er wagt es, noch in den Achtzigern weiter zu bestehen. Da rauchen sie und trinken und schlafen mit verzweifelten Frauen. Es gibt auch noch andere Klubs mit seltsamen Namen wie Fly und Porc … Das hab ich aus einem pikanten Artikel im
Harvard Magazine
, für das mir der Teheraner den doppelten Preis berechnet hat, obwohl sein Vetter am Harvard Square ein italienisches Restaurant besitzt. Die Anzeigen waren aus Angst vor Grenzkontrollen rausgerissen, und die Seiten waren mit getrockneter roter Soße verklebt.
    Jetzt kommt etwas, das ich mit Sicherheit weiß. Mahtab zählt nicht zu den Frauen, die die Männerklubs in Harvard am liebsten abschaffen würden. Sie hat sie schon immer faszinierend gefunden. Sie erinnern sie an das Harvard, das sie in Filmen aus den 1950er-Jahren gesehen hat. Normalerweise wettert Mahtab gegen alles, was auch nur andeutungsweise sexistisch ist. Aber diese Männerklubs sind ihrem Zorn irgendwie entgangen. Sollen sie doch ihre Klubs haben. Solange dort keine Frauen die Drinks servieren, stört sie das nicht. Mahtab regt sich eher über die Plätzchen backende Abendessen-um-sechs-Hausfrau auf als über die Vorstellung, durch einen Mann von irgendwas ausgeschlossen zu werden. Sie bleibt lieber draußen, als sich einsperren zu lassen. Bis heute hat sie sich geweigert, vor einem Klub anzustehen und sich taxieren zu lassen, um reinzukommen. Trotz der eklatant sexuellen Natur dieser Einrichtung hat sie für Mahtab eine eigenartige Ähnlichkeit mit dem Iran. Wenn sie samstagabends an einem Klub vorbeikommt, bleibt sie manchmal stehen und sieht sich das Schauspiel an. Der Blazer tragende Sonnyboy vor dem Eingang mustert lüstern das erste Mädchen in der Reihe, wahrscheinlich eine Studentin im

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