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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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ersten Jahr. Er lässt den Blick an ihr rauf- und runtergleiten, verweilt knapp unter ihrem Rocksaum. Plötzlich fliegt von irgendeinem Hals ein weißes Tuch auf. Es schwebt und schlängelt sich durch die Reihe spärlich gekleideter Frauen. Dann windet es sich um den Kopf des Jungen. Jetzt trägt er einen Turban. Jetzt wächst ihm ein schwarzer Schnurrbart, ein buschiger Vollbart. Der Ausdruck auf seinem Gesicht verändert sich nicht. In diesem Moment wendet Mahtab sich immer ab.
    Aber heute, als drei solcher Jungen – alle Mitglieder des Fox Club – in Claras Zimmer auftauchen, ist Mahtab versucht zu bleiben. Sie lassen sich in einer Ecke nieder. Einer von ihnen, James, quetscht sich neben sie auf die Couch. »Du riechst gut«, sagt er und beäugt sie von Kopf bis Fuß und fängt dann an, mit seinen Freunden zu reden, ehe sie Gelegenheit hat, sich vorzustellen.
    James spielt etwas, das sich
Lacrosse
nennt, ein skurriler Sport. Er ist so groß wie Reza, athletisch und mit kantigem Kinn. Er trägt sein hellbraunes Haar lang und zottelig, hat Sommersprossen auf den rötlich gebräunten Armen und kurze blonde Härchen von den Handgelenken bis zu den Ellbogen. Er ist ein kräftiger Amerikaner, kaum zu übersehen.
    »Ooooh ho ho, Saba-dschan«, sagt Khanom Mansuri. »Jetzt, wo du verheiratet bist, wirst du Fantasien von blonden Männern im Zaum halten müssen … aber ein bisschen Geschichtenerzählen hat noch keinem geschadet. Ich hab auch mal einen blonden Mann getroffen. Einen Holländer mit Haaren so gelb wie Weizen.«
    Mahtab betrachtet sein weißes Polohemd, seine Kakihose. Sie starrt den goldenen Flaum auf seinen Armen an. Sie wird von seiner Weißheit angezogen, seiner Neuengland-Banalität. Die ist verheißungsvoll. Überhaupt nicht bedrohlich. Von einem Mann mit weißem Babyflaum auf den Unterarmen kann nichts Schlechtes kommen. Sie hat noch nie einen Arm mit weißem Babyflaum gesehen, der über dem Kopf einer Frau zum Schlag ausholt, kann sich nicht vorstellen, wie er auf den Reisfeldern überleben sollte. Sie bedenkt das und erkennt es, ist sich dessen bewusst. Sie befindet, dass es ein gutes erstes Kriterium ist – so gut wie jedes andere auch. Sie hat immer gewusst, dass sie niemals mit einem persischen Mann zusammen sein würde. Lieber würde sie als Jungfrau sterben.
    »Saba, warum sagst du so was Schreckliches?«
    Gib mir nicht die Schuld. Das sind Mahtabs Worte. Solange sie lebt, wird Mahtab nie einen persischen Mann in ihr Bett lassen. Aber wer weiß, vielleicht ändert sie ihre Meinung ja noch. Amerikanerinnen dürfen das und noch vieles mehr.
    »Willst du mit uns kommen?«, fragt James Mahtab. Simone sieht einen der Jungen an und zieht eine Augenbraue hoch. Mahtab sitzt vorne auf der Couchkante und wartet darauf, dass die Augenbraue von Simones Kopf wegschießt und davonfliegt. James sieht sie flehend an und formt mit den Lippen ein
Bitte?
, und Mahtab merkt, dass ihre Füße wie von selbst einen begierigen Rhythmus klopfen – was für eine wunderbare Überraschung. Ach, wie gern ich dir von dem Glücksgefühl meiner Schwester erzähle, von ihren schönsten Momenten.
    »Warum nicht?«, murmelt sie – die amerikanische Version von
Großer Gott, ja!
– ein umgekehrtes
tarof
.
    Zwei Wochen vergehen, und Mahtab hat jetzt einen Freund. Seit dem Abend im Fox, als James den ganzen Weg zum Klub neben ihr herging, den gesamten Abend nicht von ihrer Seite wich, ihr Drinks holte, sie sogar zum Essen ausführte, als sie am frühen Morgen Hunger bekam, hat er sie jeden Tag angerufen. Er hat ihren vorsichtigen Gang kommentiert, ihre Haarfarbe, ihre hübschen Füße. Einmal hat er mit seinen rauen Lacrosse-Händen ihren Hals berührt und gesagt, der wäre sehr weich, selbst für eine Frau. »Ein Mädchen wie du sollte nie auch nur einen Fuß in ein Fitnessstudio setzen«, sagte er. »Das würde dich verderben.« Das schüchterne, unsichere Kompliment war eine unerwartete Freude, die dazu führte, dass sie sich den Rest des Tages immer wieder selbst über den Hals strich.
    »Wo kommst du her?«, fragte er eines Tages zu Beginn ihrer zarten Romanze.
    »Kalifornien«, sagte sie.
    »Und ›May‹ ist einfach nur ein Spitzname, nicht?«, sagte er. »Du siehst nicht aus wie eine May.«
    »Nicht? Okay, dann eben June. Mein Name ist June.« James lachte, also erzählte sie ihm die Geschichte von dem Geburtstagskuchen, den ihre Mutter ihr nach Harvard geschickt hatte.
Happy Birthday, Mahtab-dschun
, stand in

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