Ein toedlicher Verehrer
Shannon, Sarah. Zwei Namen, die mit S anfingen; kein gutes Zeichen.
Er hatte sich redlich bemüht, Sarahs Anziehungskraft zu ignorieren, aber er hatte keine Chance. Ihr Gesicht hatte die ärgerliche Angewohnheit, regelmäßig vor seinem inneren Auge aufzutauchen, sobald er zu entspannen versuchte. Solange er arbeitete, kam er ganz gut über die Runden, aber er brauchte abends nur in aller Ruhe die Nachrichten zu schauen oder Zeitung zu lesen und - zack!, schon war sie da. Entweder sah er sie in ihrem dünnen Baumwollpyjama auf der Treppe sitzen oder hoch konzentriert im Schießstand stehen, wo die Sonne rote und goldene Lichter in ihr Haar zauberte. Wenn ein Mann die Lichter im Haar einer Frau bemerkte, war er so gut wie verloren. Busen, okay; auf den Busen schaute jeder Mann. Aber Lichter im Haar?
Wenn er im Keller Gewichte stemmte, malte er sich unwillkürlich aus, wie Sarah rittlings auf ihm saß und er sie hochstemmte - bis er beim Gewichtheben einen Steifen bekam. Wenn er Liegestütze machte, stellte er sich vor, dass Sarah unter ihm lag, und das Ergebnis war dasselbe.
Ehrlich gesagt dachte er kaum noch an etwas anderes. Es war ein reines Wunder, dass er sich so lange von ihr hatte fern halten können, denn derart sexbesessen war er das letzte Mal als Sechzehnjähriger gewesen. Nein, eigentlich war es kein reines Wunder; es war die blanke Angst. Er begehrte sie zu sehr. So sexgierig war er bei Shannon nicht einmal in der Blütezeit ihrer Liebesbeziehung gewesen. Natürlich hatte er Shannon damals schon lange gebumst, darum war das wahrscheinlich kein guter Vergleich.
Allein seine Ermittlungen hielten ihn davon ab, den Wagen zu wenden und schnurstracks zum Mountain Brook Inn zurückzufahren. Solange Sarah nicht endgültig von der Liste der Verdächtigen gestrichen war, blieb sie unantastbar. Sie hatte die Kassenzettel, sie konnte die Waren zu den Kassenzetteln vorweisen, die Unterschrift auf ihrer Kreditkarte passte zu denen auf den Kassenzetteln, und sie hatte eine Kinokarte. Noch ein paar letzte Überprüfungen und ein kurzer Blick auf ihre finanzielle Lage, dann war sie aus dem Schneider. Verdammt, die
Kinder von Richter Roberts würden deutlich mehr erben als Sarah; natürlich hatten sie alle ebenfalls ein Alibi, aber einen Killer konnte man auch anheuern.
Cahill hatte kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Die meisten Morde wurden von jemandem aus dem engsten Umkreis des Opfers begangen, einem Familienmitglied, einem Nachbarn, einem Freund. Es sah so aus, als wäre dies hier der schwierigste Fall von allen, ein Mord durch einen Fremden. Wo war die Verbindung? Wieso hatte der Täter sich genau dieses Haus ausgesucht? Hatte Richter Roberts seinen Mörder früher mal verurteilt? Oberflächlich betrachtet war das am wahrscheinlichsten, wenn man außer Acht ließ, dass es keine Anzeichen für einen Einbruch oder einen Kampf gab. Es sah fast so aus, als hätte der alte Herr dem Mörder die Tür geöffnet, ihn ins Haus gebeten und in der Bibliothek mit ihm geplaudert.
Als hätte er ihn gekannt.
Womit sie wieder bei einem Nachbarn, einem Familienmitglied oder einem Freund wären.
Cahill versuchte, die Situation im Geist nachzustellen. Keiner der Nachbarn hatte ein Auto in der Auffahrt bemerkt, andererseits war es dunkel gewesen. Sarah war kurz vor zehn nach Hause gekommen und hatte gleich darauf den Leichnam entdeckt; um 22:03 Uhr hatte sie die Notrufzentrale angerufen, fünf Minuten später waren die Streifenwagen eingetroffen, und er selbst war fünfzehn Minuten nach ihrem Anruf am Tatort gewesen. Da hatte die Totenstarre gerade eingesetzt, also musste der Todeszeitpunkt zwischen achtzehn und zwanzig Uhr liegen, höchstens zwanzig Uhr dreißig. Wahrscheinlich eher später als früher, weil es um achtzehn Uhr noch nicht dunkel war.
Richter Roberts hatte dem Mörder eigenhändig die Tür geöffnet. Da waren noch keine Schüsse gefallen, obwohl dies der wahrscheinlichste Zeitpunkt und Ort für einen Schusswechsel: gewesen wäre, wenn der Richter von einem Ex-Häftling attackiert worden wäre, den er einst hinter Gitter gebracht hatte und der nun Rache nehmen wollte. Stattdessen waren beide in die Bibliothek gegangen und hatten sich hingesetzt, oder zumindest der Richter hatte sich hingesetzt. Er hatte keinen Verdacht geschöpft; ganz entspannt und mit hochgeklappter Fußlehne hatte er in seinem Sessel gelegen.
Der Mörder war demnach kein Fremder und auch niemand, der dem Richter eine Morddrohung geschickt
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