Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
Vom Netzwerk:
auf 16 Uhr, als sie zum zweitenmal vor dem anheimelnden Haus im Gößweinsteiner Gang hielten, nur wurden sie diesmal von einem Beamten der Schutzpolizei begrüßt.
    «Guten Tag, Herr Kommissar; ich warte schon auf Sie. Die Kollegen vom Landeskriminalamt sind eben gegangen; ich soll Ihnen ausrichten, daß Sie mit der Durchsuchung der Räume beginnen können: Sprengstoff gibt’s hier keinen mehr.»
    Mannhardt bedankte sich. «Sie bleiben aber noch hier…?»
    «Ja, man kann ja nie wissen.»
    «Komm!» sagte Mannhardt zu Koch.
    Sie stießen die beiden Türen auf und traten in die Diele. Beiden war ein wenig mulmig zumute, vielleicht sogar mehr als nur mulmig. Die Sprengstoffexperten im Landeskriminalamt waren gute Leute, und sie hatten das Haus hier sicherlich mit aller Akribie durchsucht; aber dieser Ossianowski war verdammt einfallsreich und in seiner Art – entgegen Brockmüllers Ansicht – eben doch ein kleines Genie. Es sprach schon einiges dafür, daß er etwas unternommen hatte, um sein Haus in die Luft zu sprengen. Bei seiner Philosophie lag das durchaus im Bereich des Möglichen: Wenn ich sterbe, sollen meine Kollegen ebenfalls sterben; wenn ich in meinem Haus nicht mehr wohnen kann, soll auch kein anderer drin wohnen können…
    Koch mußte ähnliches gedacht haben. Er spottete zwar: «Ich wünsch uns noch einen schönen Nachmittag auf dem Pulverfaß!» – suchte aber dann verdächtig schnell nach der Toilettentür.
    Mannhardt sah, daß man zwar den Revolver zur waffentechnischen Untersuchung mitgenommen hatte und den Schraubstock ebenfalls, die Blumen, in deren Mitte Ossianowski gestorben war, aber noch immer in ihren Vasen und Eimern steckten, nur leicht verwelkt. Er wandte sich ab und ging ins Schlafzimmer hinüber, in dem auch ein Schreibtisch stand.
    Der Raum, eng und schmal, glich mit seiner schwarzgrünen Tapete einer moosbewachsenen Grotte. Über dem Bett hing ein Ölgemälde, von dem, so schien es Mannhardt, jeden Augenblick das Blut auf das weiße Laken tropfen mußte, denn es zeigte in schönstem Realismus, wie ein zappelnder Indianer einem alten Inkagott geopfert wurde. Es erinnerte ihn an seine längst vergangenen Schulferien auf Onkel Heinrichs Bauernhof: so stach man dort die Schweine ab. Der Name des Künstlers war nicht zu entziffern – möglicherweise aber ließ sich aus den einzelnen Krakeln Ossianowski herauslesen.
    Mannhardt wandte sich dem Schreibtisch zu, den seine Kollegen in einiger Unordnung zurückgelassen hatten. Aber nicht das war verwunderlich, sondern die Tatsache, daß Ossianowski auch hier sein modellbauerisches Talent bewiesen hatte. Von der Schreibtischkante aus, wo eine naturgetreue Talstation aufgebaut war, führte eine Seilbahn zum Kleiderschrank hinauf, der die Bergstation trug. Oben und unten wartete je eine blau-weiße Gondel, die man mit einer kleinen Kurbel an der Seitenwand der Talstation in Bewegung setzen konnte.
    Mannhardt drehte vorsichtig an der Kurbel. Ein kurzer Widerstand, dann kam die Gondel I von oben herab, während die Gondel II im selben Tempo aufwärts fuhr. Ganz entzückend!
    Doch als die beiden Gondeln in der Mitte der Strecke aneinander vorbeifuhren, passierte es: in beiden Kabinen klappte der Boden nach unten, und die Insassen stürzten in die Tiefe.
    Mannhardt zuckte zusammen, sein Magen rebellierte. Vor knapp drei Wochen erst war er von der Zugspitze zum Eibsee hinuntergefahren. Wenn da…
    Also doch ein krankes Hirn? Brockmüller glaubte es, und der hatte Ossianowski schließlich gut gekannt. Aber Mannhardt war sich da nicht sicher. Im letzten Winter hatte er an einem Fortbildungslehrgang für Beamte des gehobenen Dienstes teilgenommen – Kriminalität und Gesellschaftsstruktur – und da einiges gehört. Aggressionsstau und so – es war ziemlich kompliziert; Mannhardt hatte eigentlich nur begriffen, wie fließend die Grenzen zwischen Noch-Normal und Schon-Krankhaft sein können.
    Er versuchte, sich in Owis Lage zu versetzen. Da war nichts, was seine Aggressionsmenge binden, neutralisieren konnte: kein Mensch, von dem er geliebt wurde. Statt dessen eine Umwelt, mit der er nicht fertig wurde und die ihn nicht verstand, nicht verstehen wollte… Mannhardt ertappte sich bei dem Gedanken: Ja, du hast ja recht – gib’s ihnen! Zeig dieser verfluchten Gesellschaft, die so stolz ist auf ihr Christentum und ihre Humanität – zeig der Bande, wie grausam und unmenschlich sie in Wirklichkeit ist!
    Soviel zur Abgrenzung zwischen normal und

Weitere Kostenlose Bücher