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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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keine
Erklärungen von mir. Er schob seine Brieftasche unters Kopfkissen und tat beinahe
das gleiche mit seinem spitzen, schweißnassen Gesicht. Mit einer erschöpften
Geste verabschiedete er mich.
    „Sagen Sie dem Doktor, er soll raufkommen“,
murmelte er.
    „Ja, Monsieur. Auf Wiedersehen.“
    Der Arzt vertrieb sich die Wartezeit damit, die
Rüstungen unten in der Halle unter die Lupe zu nehmen.
    „Nun?“ fragte er.
    „Die Unterredung hat ihn angestrengt. Sie sollen
zu ihm kommen...“
    Ich gab ihm die Hand.
    „Wiedersehn, Doktor. Ich muß mich wohl nach
einer anderen Fahrgelegenheit umsehen, um nach Paris zurückzukommen, nicht
wahr?“
    „Ja, ich bleibe lieber bei Gérard.“
    Er sah mich fragend an.
    „Und die Polizei...?“
    „Da hab ich viele Freunde“, übertrieb ich
maßlos. „Ich werde sie von dem Unfall benachrichtigen und alles regeln.
Übrigens, vergessen Sie unsere Begegnung und unsere verschiedenen
Spazierfahrten! Das erleichtert mir meine Aufgabe. Mit dieser Drogengeschichte
hat Flauvigny genug in der Hand, um den Verantwortlichen für den Tod seines
Sohnes die Flics auf den Hals zu hetzen. Aber er zieht es vor, so wenig
Aufhebens wie möglich zu machen und selbst Gerechtigkeit zu üben.“
    „Selbst Gerechtigkeit zu üben!“ rief der Arzt.
    „Er ist ein alter Dickschädel, wußten Sie das
nicht?“
    Ich dachte daran, wieviel Überredungskunst ich
gebraucht hatte, um ihn zu diesem Schritt zu überreden, und lachte still in
mich hinein.
    „Ein alter Narr ist er, jawohl! Was er braucht,
ist ein stärkeres Beruhigungsmittel!“
    Mit diesen Worten ging Dr. Péricat hinauf, um
seine Meinung in die Tat umzusetzen und ihm eine ganze Serie Beruhigungsspritzen
zu verabreichen. Ich öffnete die Tür, die in den etwas verwahrlosten Garten
führte, gab einer der beiden Lampenträgerinnen einen freundschaftlichen Klaps
auf den bronzenen Hintern und ging die Treppe hinunter.
     
    * * *
     
    Wenig später beugte ich mich über den Rand der
öffentlichen Mülldeponie von Sceaux. Im Abendlicht, das Kinn auf der Brust, sah
ich aus wie eine Figur des Angelus von Millet. Fehlte nur noch die
Schubkarre, der Kartoffelsack und die Bäuerin an meiner Seite.
    Und noch etwas anderes fehlte: Ali Ben Cheffour
hatte sein Grab verlassen... und den schrecklichen Gestank gleich mitgenommen.
Auch wenn es nicht grade nach frischen Rosen duftete, so war der Unterschied zu
heute morgen doch deutlich spürbar.
    Ich sagte mir: Wenn man die Leiche des Arabers
entdeckt hatte, müßten die Leute in dem nahegelegenen Bistro das Ereignis
lebhaft diskutieren. Ich nahm Kurs auf das Café-Liqueurs.
    Es war ein furchtbar dreckiger Ort. Neben dem
Haus, in dem sich die Kneipe befand, stand eine baufällige Hütte, deren Erbauer
einem Robinson nie das Wasser reichen konnte.
    Als ich das menschenleere Lokal betrat, begrüßte
mich ein Schwarm Fliegen. Ich klopfte mit einem Geldstück auf die Theke, um
etwas mehr Leben in die Bude zu bringen. Ein schmächtiges Kerlchen kam hinter
einem schmutzstarrenden Vorhang hervor. Er sah reichlich degeneriert aus. Sein
Gesicht wurde von einer Hasenscharte verunstaltet. Man konnte ihm nur raten,
sich während der Jagdsaison zu verstecken...
    „asch ..üsch ..i?“ stieß er gestikulierend
hervor.
    Ich versuchte erst gar nicht, ihn zu verstehen,
und bestellte einen Aperitif.
    „..a..i..i?“
    „Nein, sonst nichts“, antwortete ich auf gut
Glück.
    Wütend, weil ich ihn nicht verstand, warf er mir
einen bösen Blick zu. (Hoffentlich brachte das kein Unglück!) Dann hielt er mir
eine Flasche Martini unter die Nase.
    „A?“
    „Ja.“
    So langsam verstanden wir uns. Er bediente mich,
ich zahlte, trank einen Schluck, stopfte meine Pfeife und wartete paffend auf
Gäste mit flinkerem Mundwerk. Sie kamen nicht. Ich beschloß, mein Vorhaben
aufzugeben.
    „Wie heißt das Nest hier?“ wandte ich mich an
den Inhaber der Kneipe.
    Er gab ein paar Mißtöne von sich, was sich
anhörte, als würde Wasser aus einem Waschbecken ablaufen.
    „Die nächste Metro?“ fragte ich weiter.
    „U..e..o..a..e.“
    Vor meinen staunenden Augen schickte er mit
einer wegwerfenden Handbewegung seine mühsamen Sprechversuche zum Teufel und
stöpselte das Waschbecken wieder zu. Er ging hinter der Theke auf Tauchstation,
und als er wieder auftauchte, hatte er keinen Knüppel in der Hand — wie ich
befürchtet hatte — , sondern einen zerfledderten Stadtplan, den er vor mir
ausbreitete. Stumm zog er mit dem Zeigefinger einen

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