Ein Toter hat kein Konto
täglichen Einerleis. Zweitens:
Schlüssel in meiner Tasche, die mir nicht gehörten. Drittens: der Ort, an dem
ich die fremden Schlüssel aufgehoben hatte (nämlich auf dem Parkweg, der zu der
kleinen Tür führte). Wahrscheinlich waren es Péricats Schlüssel. Sie waren ihm,
unbemerkt von Albert, auf seiner vorletzten Reise aus der Tasche gefallen.
Ich stand wieder auf, um den Schlüsselbund noch
einmal zu untersuchen. Es waren ganz gewöhnliche Schlüssel, einer für ein Yale -Schloß.
Ein Autoschlüssel war nicht darunter, doch das wollte nichts heißen.
Autoschlüssel hängen häufig an einem separaten Bund. Gut. Bei dem Versuch, den
Toten in seinem eigenen Wagen aus der Gefahrenzone zu bringen, hatte dem Fahrer
ein Baum im Wege gestanden. Also hatte er sich entschlossen, einen Selbstmord
vorzutäuschen. Eine einzige Kugel im Herzen und die Tatwaffe auf dem Boden, das
konnte hinhauen: Der Doktor erschießt sich am Steuer seines Wagens, und der
Wagen landet führerlos vor einem Baum. Normal. Tatmotiv? Großes Geheimnis.
Verdammt nochmal, was für eine Geschichte! Wenn Flauvigny der Mörder war, lag
ihm natürlich sehr an meiner Diskretion, mit der er mir ständig die Ohren
vollblies. Auf diese Weise machte er mich sozusagen zum geheimen Zeugen seiner
Taten. Was hatte das für einen Sinn? Ich nahm mir vor, in Péricats Wohnung ein
wenig herumzuschnüffeln, zumal Faroux dort anscheinend etwas Merkwürdiges
gefunden hatte. Ich dachte an den Kommissar und dann an Ali Ben Cheffour, der
an Typhus gestorben war, um die Dinge zu vereinfachen. In der Rue Chérubini
hatte er sich die Krankheit sicherlich nicht geholt. Bis auf weiteres hielt
Faroux ihn für einen frisch und illegal ins Land gekommenen Nordafrikaner. Ich
grübelte ein wenig darüber nach und entwickelte eine recht zufriedenstellende
Theorie. Danach fühlte ich mich erheblich ruhiger und bereit einzuschlafen.
Bevor mich der Schlaf übermannte, rief ich noch in meiner Agentur an. Hélène
war soeben aus der Redaktion des Crépuscule zurückgekommen.
„Haben die vermischten Nachrichten was
Interessantes hergegeben?“ erkundigte ich mich.
„Ja, haben sie. Und? Gibt’s noch weitere Tote?“
„Noch nicht. Es ist jetzt drei Uhr...“
„Zu früh zum Sterben?“
„...Kommen Sie so gegen sechs zu mir. Wir
könnten zusammen essen und die Ausbeute sichten. Vorher werd ich noch eine
Mütze Schlaf nehmen... Reboul?“
„Nicht gesehen.“
* * *
Von der Straße drang undeutlich Autolärm an mein
Ohr. Was mich jedoch aufgeweckt hatte, war wohl eher das Gefühl, daß jemand
Fremdes in meiner Nähe war. Ich horchte. Im Nebenzimmer, das mir als Büro
diente, waren Schritte zu hören. Vorsichtig tastete ich auf dem Nachttischchen
nach meinen Schlüsseln. Sie lagen noch dort, zusammen mit dem fremden
Schlüsselbund. Also hatte ich sie nicht außen in der Wohnungstür stecken
lassen. Diese Erkenntnis verschaffte mir sogleich Klarheit über den Charakter
des Besuchers und seiner möglichen Absichten. Ich stand geräuschlos auf, nahm
meinen Revolver aus der Schublade und riß die Verbindungstür auf.
Zwei Araber standen in dem sonnendurchfluteten
Raum. Ein Paar, zur Abwechslung. Der eine war jung, klein und dünn, mit
abgerissener Kleidung und dementsprechendem Selbstvertrauen. Der andere war
groß, gut gekleidet und mit einer Kanone bewaffnet. Mein Auftritt verblüffte
ihn nicht sonderlich. Entschlossen trat er mir entgegen. Ich kannte den Kerl.
Vor dem Krieg hatte ich die Ehre gehabt, ihm eine Kugel durchs Handgelenk zu
jagen und mit einer zweiten ein Glied von seinem Mittelfinger abzutrennen. Belkacem
war bestimmt gekommen, um das Stück Fleisch von mir zurückzufordern. Bedauern
meinerseits: Ich hatte es inzwischen verspeist! Doch es blieb mir keine Zeit,
um ihm das zu sagen. Der Kerl tat gleichzeitig mehrere Dinge: Er lächelte, fuhr
sich mit der Zunge über seine schmalen Lippen, blitzte mich mit seinen
kohlrabenschwarzen Augen an und hieß mich herzlich willkommen.
Die Kugeln schossen so schnell aus dem Lauf
seines Revolvers, daß sie sich beinahe überschlugen. Dank des aufgesetzten
Schalldämpfers machten sie nicht mehr Lärm als eine Schreibmaschine.
Glücklicherweise kann ich Gedanken lesen. Mit einem Hechtsprung zur Seite
entging ich dem Trommelfeuer, erwiderte die Schüsse und flüchtete ins
Schlafzimmer hinter mein Bett. Liebe macht blind. Haß auch. Zuerst hatte er die
Treffsicherheit des Arabers beeinträchtigt. Jetzt verführte er ihn zu
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