Ein Toter hat kein Konto
Flic
fest.
„Keine Papiere nötig“, sagte ich. „Das Gesicht,
die Narbe am Handgelenk und das fehlende Fingerglied reichen als besondere
Merkmale. Seine Fingerabdrücke werden’s beweisen.“
„Ja, er ist es“, bestätigte Faroux, nachdem er
sich über die Leiche gebeugt hatte. „Was wollte er von Ihnen?“
„Keine Ahnung. Ich hatte die beiden nicht
eingeladen. Wie bereits erwähnt, hat er mich mit einem Kugelhagel empfangen.
Vielleicht wollten sie mir gar nichts Böses tun, und ich habe die Geste falsch
verstanden. Tut mir leid für die Witwe. Werd ihr ‘ne Rente aussetzen.“
Die beiden Uniformierten rissen die Augen weit
auf.
„Er ist vor mehreren Jahren aus dem Knast
gekommen“, sagte Faroux achselzuckend. „Hat sich sehr viel Zeit gelassen, sich
an Ihnen zu rächen.“
„Heiß kochen, kalt essen!“ erwiderte ich.
„Wo ist der Revolver?“
„Hier, Kommissar.“ Einer der Flics reichte ihm
die Waffe. „Ein Ballermann ist das! Und obendrein noch mit Schalldämpfer!“
Faroux warf einen kurzen Blick auf die Kanone.
„Sehr gut! Ich begleite Sie aufs Revier. Die
Waffe müssen Sie mir unbedingt überlassen!“
„Die gleiche wie Péricats, stimmt’s?“ sagte ich.
„Genau die gleiche.“
„Ist das eine Spezialanfertigung für
Verbrecher?“
„Schon möglich.“
Offensichtlich wollte mein Freund sich nicht in
Einzelheiten verlieren.
„Nicht schlecht gekleidet, der Junge. Sogar sehr
gut gekleidet!“
„Erdnüsse hat der bestimmt nie verkauft.“
„Aber gearbeitet hat er in letzter Zeit. Seine
Hände sind nicht mehr die, die wir bei ihm gewohnt waren. Richtige Schwielen
haben sie.“
„Seine Hände gehören zu denen, die so wenig an
Arbeit gewöhnt sind, daß man ihnen schon das Kistenschleppen oder Koffertragen
ansieht.“
„Zu dumm, daß Sie ihn erschossen haben, Burma!“
„Er oder ich, das war die Frage“, verteidigte
ich mich. „Ich werd’s mir aber merken. Übrigens hab ich eine Schwäche fürs
Proletariat. Wenn mich das nächste Mal ein Arbeiter umlegen will, laß ich ihn
machen. Dann können Sie ihn wenigstens verhören. Ich kann Ihnen nämlich
keinerlei Informationen liefern.“
„Na ja“, lachte Faroux, „mit Informationen kann
man bei Ihnen fast nie rechnen! ... Los, Jungs!“ forderte er die Flics auf.
„Bringt die Leiche hin, wohin ihr wollt!“
„Hätten Sie vielleicht eine Decke?“ fragte mich
einer der Flics.
Ich empfahl ihm, die Leiche in den ohnehin schon
blutgetränkten Teppich einzuwickeln. Es würde billiger für mich werden, ihn zu
ersetzen, anstatt ihn reinigen zu lassen.
Die Uniformierten verließen meine Wohnung und
nahmen das makabre Paket mit.
„Heute abend, elf Uhr“, verkündete Faroux,
„findet die Razzia im Antinéa statt. Werden Sie sich’s ansehen?“
„Das hab ich Ihnen doch schon gesagt: nein“,
erwiderte ich. „Belkacem hat meine Siesta unterbrochen. Heute nacht muß ich sie
nachholen.“
Der Kommissar machte Anstalten zu gehen, besann
sich dann aber.
„Wie sind die beiden eigentlich hier
hereingekommen?“ fragte er.
„Durch die Tür. Ich hab den Schlüssel
steckenlassen.“
„Und ich dachte, Sie sind von Natur aus
mißtrauisch...“
„Bin ich auch, aber nur dann, wenn es einen
Grund dafür gibt.“
„Und den gibt es im Moment nicht?“
„Ich bin gerade mit einem ganz geruhsamen Fall
beschäftigt“, behauptete ich.
Das war das richtige Wort. Geruhsam! Requiescat
in pace.
* * *
Hélène und ich gingen hinunter ins nächste
Bistro. Bei einem 35prozentigen Anisschnaps erfuhr ich, an welchen Delikten in
den letzten drei Monaten Nordafrikaner beteiligt gewesen waren. Die
Informationen, die meine Sekretärin im Archiv des Crépuscule zusammengetragen hatte, waren von unterschiedlichem Interesse. Zunächst waren
da die gewöhnlichen Schlägereien, kleinen Diebstähle, alltäglichen Überfälle
und freundschaftlichen Tätlichkeiten. Diese Dinge konnte ich getrost links liegenlassen.
Bei dem Artikel, in dem zum ersten Mal Ritons Name auftauchte, hielt ich inne.
Es ging um den Überfall auf die Zentralbank. Dabei war der arabische Komplize,
von dem Faroux gesprochen hatte, den Flics ziemlich angeschlagen in die Hände
gefallen. Wenige Augenblicke später war er gestorben, ohne daß man ihn hätte
identifizieren können. Vorher hatte er aber noch etwas gesagt — nicht viel,
aber andererseits genug, um zu der Legende des Mannes beizutragen, der jetzt
als Staatsfeind Nr. i galt: Riton-der-Spinner.
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