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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Wohnung eingedrungen, und zwar
mit den Schlüsseln, die man mir im Antinéa geklaut hat. Außerdem hat er
mit einem weiteren alten Bekannten von mir, Sidi-dem-Beringten, vermutlich Dr.
Embarek gekidnappt.“
    „Und warum?“
    „Ali Ben Cheffour hat sich nicht in der Rue
Chérubini mit Typhus angesteckt. Der Arzt ist ein Landsmann von ihm. Stellen
Sie sich mal vor, daß der letzte Schub Einwanderer von dieser Krankheit
befallen ist...“
    Hélène erschauerte.
    „...und dringend behandelt werden muß“, ergänzte
sie. Ich schüttelte den Kopf.
    „Jetzt nicht mehr. Ich weiß, was ich weiß. Die
Gangster wollten nur wissen, um welche Krankheit es sich handelte. Nachdem Dr.
Embarek Typhus festgestellt hatte, wurden alle umgebracht... Einschließlich des
Arztes, auf dessen Verschwiegenheit man sich vielleicht nicht hundertprozentig
verlassen konnte.“
    „Wenn man Ihnen so zuhört“, bemerkte Hélène,
„muß man zu der Überzeugung kommen, daß diese Kerle töten, wo sie gehen und
stehen.“
    „Ich weiß, was ich weiß“, wiederholte ich.
„Kennen Sie Théophile Gautier?“
    Sie lächelte spöttisch.
    „Ist der auch mit von der Partie?“
    „Wer weiß? Tot ist er jedenfalls. Warum sollte
man ihn nicht auch auf die Liste setzen, die täglich länger wird? Théophile
Gautier hatte gewisse Erfahrungen mit Rauschgift. In einem Vorwort zu
Baudelaires Blumen des Bösen führt er aus, daß die Droge nicht aus dem
Nichts erschaffe und die Art der — himmlischen oder höllischen —
Halluzinationen von der Umgebung und der besonderen Disposition des Konsumenten
abhänge. Wenn ich also zum Beispiel mein Rauschgift in luxuriösem Rahmen konsumiere,
an Sie denke und einem mittelmäßigen Pianisten lausche, erwarten mich
unerwartete Sinnesfreuden. Sitze ich aber zwischen Steuerbescheiden und
Mietforderungen, wird die erwartete Verzückung zu einem furchtbaren Alptraum.
Mit anderen Worten, die Halluzinationen sind keine richtigen Halluzinationen,
sondern die bis zur höchsten Potenz gesteigerte Realität. Ich habe Ihnen von
meinem Traum erzählt. Alles, was ich in der letzten Nacht erlebt habe,
existiert tatsächlich. Nur daß dort, wo ich Tausende von Leichen gesehen habe,
vielleicht nur zehn oder zwölf lagen... was ja auch schon ganz schön ist.“
    „Aber... aber das ist ja scheußlich!“ stammelte
Hélène. „Und das waren...“
    „...arme Kerle, Algerier, die ihren ersten Lohn
kassiert haben“, versuchte ich zu scherzen. „Sozusagen schadhafte Ware, wie es
bei jeder Lieferung schon mal Vorkommen kann...“
    „Und Ali Ben Cheffour?“
    „Lag auch auf dem großen Haufen. Durch seinen
Bruder, den er in Paris erwartet hatte, entdeckte er die Geschichte mit dem
Menschenhandel. Angenommen, er empört sich, droht vielleicht sogar mit einer
Anzeige... und wird mit den Neuankömmlingen eingesperrt. Fälle von Typhus
treten auf. Ali steckt sich an, kann aber fliehen und stirbt da, wo ich ihn
gefunden habe. Seine Flucht macht die Gangster nervös. Sie besitzen seine
Adresse. Bei ihrer Manie, in fremden Brieftaschen herumzuwühlen...
Sidi-der-Beringte schaut nach, ob Ali sich vielleicht zu Hause verkrochen hat.
Bei der Gelegenheit sehe ich diesen interessanten Zeitgenossen zum ersten Mal.
Am selben Abend wage ich mich ins Antinéa. Mit meinem Schnüfflergesicht
mache ich mich verdächtig. Und daß ich mich mit Andréjol unterhalte, verbessert
meine Lage auch nicht grade. Andréjol hat einen Einsatz in Montreuil geleitet,
bei dem Waffen gefunden wurden, und sitzt nun im Antinéa ! Ein Mitglied
der Bande, wahrscheinlich Belkacem, erkennt mich und gibt Alarm. Moktar, der
honigsüße Boß, hat mir verraten, daß man mich mit Dumonteil gesehen habe, einem
Clubmitglied (aber zu dämlich, um irgendwie an der Sache beteiligt zu sein).
Außerdem sei ich an einem Ort gewesen, an dem ich nichts zu suchen hätte. Mit
Dumonteil hat man mich bestimmt gesehen, als wir zusammen das Restaurant
verließen. Und der verbotene Ort, das war wohl in Bagneux, in der Nähe des
Bistros, in dem ich mich so glänzend mit dem Stummen unterhalten habe. Auf
einem Feldweg hat mich ein verdreckter Lastwagen überholt, der seine Ladung
gleichmäßig in der Landschaft verteilte. Vermutlich saß Belkacem im Fahrerhaus.
Meine versaute Hose ist der unwiderlegbare Beweis dafür, daß er ungelöschten
Kalk transportiert hat. Haben Sie mal den Namen Dr. Petiot — noch ein Arzt! —
gehört?“
    „Wollen Sie damit sagen...“
    „Ja, genau das will ich damit

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