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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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auf.
    „Du hast uns in die Höhle des Löwen gelockt,
Riton!“ kreischte die Frau. „Ich hab dir gesagt...“
    „Ich glaub, du hast recht, Gigi!“
    Der Gangster fluchte. Ich stürzte mich auf ihn.
Jetzt wußte er Bescheid. Wenn ich ihn entwischen ließ, konnte ich mein
Testament machen. Vorsichtshalber machte ich es schon mal. Er wich meinem
rechten Haken aus und schlug mir den Revolverkolben zwischen die Augen. Gigi
brachte sich und den Telefonhörer ins Spiel. Nein, solch einen Schlag mit dem
Telefon sollte man sich nicht zu oft einfangen. Ich wurde mit dem Netz ETOile
verbunden. Jede Menge Störgeräusche waren zu hören, dann wurde getrennt, und
ich kippte aus den Latschen.

20

Joëlle
     
     
    Als ich wieder zu mir kam, graute der Morgen.
Ich warf mich auf mein Bett und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich
fühlte mich so überholungsbedürftig wie die Verfassung.
    Eine Weile döste ich so vor mich hin, dann
wollte ich telefonieren... und stellte fest, daß das Kabel herausgerissen war.
Ich duschte mich und ging hinunter ins Bistro. Bei einem schwarzen Kaffee
überflog ich die noch druckfrische Zeitung. Plötzlich erschrak ich so heftig,
daß ich hochfuhr und den Inhalt meiner Tasse beinahe meinem Thekennachbarn,
einem Arbeiter der Frühschicht, über den Overall geschüttet hätte.
    Am gestrigen Abend, wahrscheinlich kurz nachdem
Hélène und ich sie in der Cité de la Muette überrascht hatten, wie sie zu
Péricats Fenster hinaufstarrte, war Joëlle vom Pont Saint-Michel in die Seine
gesprungen. In ziemlich jämmerlichem Zustand hatte man sie wieder
herausgefischt und ins Zentralkrankenhaus Hôtel-Dieu transportiert. Die Zeitung
berichtete, daß es sich um die Tochter des bekannten Industriellen Gérard
Flauvigny handle, dessen Sohn Roland (auch das hatten sie inzwischen
herausgefunden) am gestrigen Morgen durch austretendes Gas ums Leben gekommen
war. Der Grund für die Verzweiflungstat des jungen Mädchens sei offenbar der
Kummer über den Tod des Bruders gewesen.
     
    * * *
     
    „Komische Familie, was?“ sagte Faroux, als ich
ihn telefonisch erreichte. „Der Bekanntschaft mit einem Nestor Burma wirklich
würdig! Wenn das so weitergeht, stirbt sie nach und nach aus.“
    „Und dabei ist dem Familienvater jede Aufregung
strikt untersagt!“ spottete ich.
    „Ach, ich glaube, dem ist das schnurzegal. Hat
die Nachricht vom Todessprung seiner Tochter recht gelassen aufgenommen.“
    „Und wie geht es ihr?“
    „Sehr mitgenommen, die Kleine, vor allem
nervlich. Man wird sie noch zwei, drei Tage im Hospital festhalten. Sie macht
nämlich den Eindruck, als würd sie’s gern noch einmal versuchen. Bei der ist
mehr als eine Schraube locker.“
    „Stimmt. Kann man sie besuchen?“
    „Was wollen Sie von ihr? Damit Sie nicht auf
irgendwelche abenteuerlichen Gedanken kommen, Burma: Ich kann Ihnen versichern,
daß sie aus freien Stücken von der Brücke gehopst ist. Glauben Sie mir, wir
haben das ganz aus der Nähe verfolgt. Die Familie wird langsam zu auffällig,
als daß man die Aktivitäten ihrer Mitglieder einfach links liegenlassen könnte.
Aber Sie können sie meinetwegen besuchen, wenn Sie wollen. Mehr als wir werden
Sie auch nicht aus ihr rauskriegen, daß heißt: Nichts!“
    „Abwarten“, sagte ich. „Ich bin ein hübscher
Bengel, und weil ich ihre Annäherungsversuche nicht beachtet habe, ist sie ins
Wasser gegangen.“
    Joëlle lag in einem hübschen Bett in einem
hellen Zimmer. Als sie mich eintreten sah, zuckte sie zusammen, sagte aber kein
Wort. Ich setzte mich zu ihr aufs Bett und nahm ihre glühende Hand.
    „Na? Spielen wir Martine Carol ?“
fragte ich lächelnd.
    Der Auftakt, den ich gewählt hatte, war nicht
lustig genug, um ihr ein Lächeln abzuringen und aus ihren haselnußbraunen Augen
die Angst zu verscheuchen.
    „Lassen Sie mich“, flüsterte sie, zog aber ihre
Hand nicht zurück. „Lassen Sie mich... Ich will sterben.“
    „Einverstanden“, sagte ich. „Aber vorher müssen
Sie mir noch sagen, wovor Sie sich fürchten. Vor Dumonteil oder vor Ihrem
Vater? Ich meine... äh... vor Gérard Flauvigny.“
    „Ach, Sie wissen es?“
    „Natürlich, ich bin schließlich Detektiv. Und
Flauvigny?“
    „Er ahnt etwas. Immer hat er Roland vorgezogen.
Ich glaube, er hat sich nicht mal nach meinem Befinden erkundigt.“
    „Und Sie, wie haben Sie von Ihrer... Ihrer
Abstammung erfahren?“
    „Das weiß ich nicht mehr. Ich...“ In ihren Augen
blitzte es plötzlich auf.

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