Ein toter Lehrer / Roman
Oder nicht direkt. Gut, ich wusste von seiner Leidenschaft für seinen Beruf, wie wichtig er den Lehrerberuf nahm, aber ich hatte keine Ahnung, dass es noch etwas gab, wofür er sich so begeistern konnte.
Wir blieben in der Ausstellung, bis geschlossen wurde. Wir setzten uns, spazierten umher und beobachteten. Samuel war so witzig. Er redete über die Gemälde und auch über die anderen Besucher, machte Scherze und karikierte sie – Sie wissen schon, den aufgeblasenen Kunststudenten, den Möchtegernschauspieler, bei dem es nur zum Museumsführer gereicht hat, den banausischen Amerikaner. Damals fand ich ihn lustig, aber wenn ich heute darüber nachdenke, war er vielleicht eigentlich eher grausam.
Ein Mal haben wir miteinander geschlafen. Nicht an dem Tag, an einem anderen, Monate später. Er war nicht besonders gut im Bett, aber das machte mir nichts aus, ich bin ja selbst nicht gerade die Erfahrenste.
Ach, Sie nehmen das ja auf. Ich vergesse immer, dass Sie das aufnehmen.
Aber was ist schon dabei? Wir waren zusammen im Bett und hatten schlechten Sex. Es war unbeholfen und peinlich, vorher und währenddessen. Ich war ein bisschen betrunken. Samuel auch. Er trank normalerweise nicht viel, und ich auch nicht, aber wir hatten fast eine ganze Flasche Shiraz getrunken. Wir waren bei mir, ich hatte etwas gekocht, und wir haben uns einen Film angesehen, aber er war nicht so besonders, deshalb hab ich die DVD ausgeschaltet und Musik aufgelegt …
Wissen Sie was? Ich möchte nicht darüber reden. Können wir das Thema wechseln?
Wir trennten uns. Ich sage, wir trennten uns, aber das klingt so gewöhnlich, dabei war unsere Beziehung alles andere als gewöhnlich. Abgesehen von diesem einen Mal hatten wir keinerlei Körperkontakt. Nicht mal geküsst haben wir uns. Ich schäme mich, das zu sagen, keine Ahnung, warum. Aber es ist die Wahrheit. Wir haben uns weder geküsst noch umarmt, noch nicht einmal Händchen gehalten haben wir. Doch, ein- oder zweimal hat er meine Hand genommen, aber nur, wenn wir über die Straße gingen oder er mir aus dem Bus half oder irgend so was Albernes. Aber es war nicht nur das. In einer normalen Beziehung verbirgt man seine Gefühle nicht voreinander wie etwas, für das man sich schämen muss, man versteckt seinen Partner nicht vor Freunden, vor der Familie und manchmal sogar vor sich selbst, ja, sogar vor sich selbst.
Wir stritten uns oft. In dieser Hinsicht war es wohl eine normale Beziehung. Samuel hatte ein schwieriges Jahr. Da waren der
Direktor und TJ , aber da waren vor allem die Schüler. Auch wenn ich ihm mit denen nicht helfen konnte. Ich habe es nicht versucht, weil es über meinen Verstand ging. Was sie taten – was sie Samuel antaten –, das konnte ich einfach nicht verstehen. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Nein, wenn wir uns stritten, ging es um nichts Konkretes. Es fing zwar meist wegen irgendwas an – etwa wegen TJ , wegen seiner Scherze –, aber am Ende ging es um nichts. Um nichts und um alles.
Vielleicht hätte ich schon früher mit ihm Schluss gemacht, wenn er nicht so eine schwere Zeit gehabt hätte. Da ist es wieder, verstehen Sie: Mitleid. Ich bin ein miserabler Menschenkenner, Detective. Ich muss ja ein miserabler Menschenkenner sein. Alle anderen haben gesehen, dass er nicht normal ist. Warum konnte ich das nicht sehen?
Nein, danke, mir geht’s gut. Ich würde das hier bloß gern hinter mich bringen. Können wir es bitte schnell hinter uns bringen?
Ob er wütend war? Warum fragen Sie das? Er hatte keinen Grund dazu, falls Sie das meinen. Überhaupt keinen. Er hat ja damit gerechnet. Er muss damit gerechnet haben. Er war nicht gerade einfach zu durchschauen, das war Teil des Problems, aber er muss ganz sicher damit gerechnet haben. Genau weiß ich es allerdings nicht. Zuerst wirkte er nicht wütend, aber danach entwickelte sich für ihn alles sehr negativ, was es ihm sicher nicht gerade einfacher machte. Es lief schon vorher nicht gut, aber es wurde noch schlimmer. Vielleicht wuchs dadurch sein Zorn. Vielleicht nagte die Verbitterung an ihm. Vielleicht hat er sich im Nachhinein eine Wut auf mich eingeredet, denn eins weiß ich sicher, Detective, eins sage ich Ihnen. Es heißt, er hätte auf TJ gezielt, als er Veronica erschoss. Das glauben alle. Ich weiß es besser. Er hat nicht auf TJ gezielt, Detective. Er hat auf mich gezielt. Er hat auf mich gezielt, und stattdessen musste Veronica sterben.
D ie
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