Ein toter Lehrer / Roman
gesagt.
Keine Ahnung. Aber so wichtig kann’s ja wohl nicht gewesen sein, sonst hätte er es ja gesagt. Hat er aber nicht. Was auch immer es war, er hat’s nicht gesagt, und auch sonst nicht viel.
Kurz danach ist er dann gegangen. Ich hatte Tee da und hätte ihm welchen machen können, aber er wäre eh nicht lange genug dageblieben, um ihn zu trinken, selbst wenn ich ihm einen gemacht hätte.
Ach Mensch! Wollen Sie einen Tee? Ich hätte Ihnen einen anbieten sollen, richtig? Wenn ich Ihnen gleich einen gemacht hätte, hätten Sie ihn jetzt auf, da können wir ja jetzt so tun, als würde ich Ihnen noch eine Tasse anbieten. Möchten Sie noch eine Tasse Tee?
Echt nicht? Das macht keine Umstände. Ich brauch auch keine Hilfe oder so.
Dann eben nächstes Mal. Nächstes Mal mache ich Ihnen einen Tee. Ehrenwort.
Samuel ist jedenfalls aufgestanden und ich auch. Ich gehe dann mal, das wird das Beste sein, hat er gesagt. Ich hab nichts dagegen gesagt. Ich hab ihn beobachtet, aber auf Abstand, und dann ist er zur Tür und ich hinterher. Na dann, mach’s gut, hat er gesagt. Seine Hand lag auf der Türklinke. Ich hab die Arme verschränkt. Mach’s gut, hat er noch mal gesagt, und dann hat er die Tür aufgemacht und ist raus. Ich hab dann nur die Tür hinter ihm zugemacht, und das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hab, bis dann dieses Bild von ihm im Fernsehen kam.
L ucia parkte woanders. Das hätte sie nicht gemusst, ihr Stammplatz war frei. Aber sie parkte näher am Eingang, auf dem einzigen Teil des Parkplatzes, der nicht unter dem Gebäude lag. Sie stellte den Wagen ab, stieg aus und war schon am Treppenhaus, als sie plötzlich wieder umkehrte, den Wagen aufschloss und den Motor noch einmal anließ. Sie setzte zurück, wendete und trat so kräftig aufs Gas, dass sie mit einem Ruck anfuhr und die Reifen aufjaulten. Obwohl niemand in der Nähe war, lief Lucia rot an, kam sich lächerlich vor und nahm so schnell den Fuß vom Gas, dass sie fast den Motor abgewürgt hätte. Sie fuhr an den aufgereihten Dienstfahrzeugen vorbei und dann in großem Schwung einen Bogen um neunzig Grad. Den linken Arm um den Beifahrersitz geschlungen, setzte sie den Wagen rückwärts in die Lücke, die die gesamte Wache als ihren Stammplatz kannte.
Der kann mich mal, sagte sie sich. Dieser Scheißkerl.
Im Treppenhaus war es dunkel, und Lucia zögerte. Aber nur für einen Moment. Dann ging sie die Treppe hoch, ganz langsam – wehe, ihre Ängste wollten sich festsetzen. Schwungvoll betrat sie die Eingangshalle und nickte den Männern am Empfangstresen zu. Sie nickten zurück. Vor ihr lag die Doppeltür, die zu dem Bereich der Wache führte, den nur Polizisten, Gefangene und Kinder auf Schulexkursionen zu sehen bekamen. Sie tippte einen Code in die Tastatur unter dem Türknauf, wartete auf den Summer und ging hinein. In der ganzen Wache gab es nur einen einzigen Aufzug. Heute funktionierte er und wartete schon auf Lucia. Sie stieg ein.
Sie war die Erste der Frühschicht. Das hatte sie so geplant, auch wenn sie es sich nicht eingestand. Aber als sie an Walters Schreibtisch vorbeikam, sah sie neben der Tastatur einen Kaffeebecher, und über der Stuhllehne hing ein Mantel. Sie hielt inne und sah sich um, bis ihr klarwurde, dass die Putzfrau den Becher übersehen haben musste und dass der Mantel quasi zum Inventar gehörte. Wachsamer, als ihr lieb war, ging sie weiter. Dann schenkte sie sich einen Kaffee aus der Kanne ein, die noch von der Nachtschicht dastand. An ihrem Schreibtisch umfasste sie ihren Becher mit beiden Händen. Sie nippte. Der Kaffee war bitter, aber sie trank ihn nicht des Geschmacks wegen. Sie nippte noch einmal und wartete darauf, dass der Tag begann.
Als Nächstes kam Cole, dann Charlie und dann Rob. Cole brummte barsch: »Guten Morgen!« Charlie und Rob nickten Lucia bloß zu. Eine Minute vor neun kam Walter herein, in die letzte Seite des
Daily Mirror
vertieft. Er hob die Hand, ohne jemanden anzusehen, stellte seinen Styroporbecher auf dem Schreibtisch ab, klemmte sich die Zeitung unter den Arm und verschwand auf der Toilette. Harry kam zu spät. »Tut mir leid«, keuchte er, setzte sich und wischte sich noch Minuten später schnaufend über die Stirn. »Hey, Lucia«, sagte er, als er sie sah. Und sie antwortete: »Hey, Harry, wie geht’s?«
»Was war denn gestern los?«, fragte er, und Lucia sagte: »Magen-Darm-Infekt.« Dann begannen die Telefone zu klingeln, und trotz all der Möglichkeiten, die sich Lucia
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