Ein toter Lehrer / Roman
verengten sich. »Wer wird mir das nahelegen?«
»Wohin Sie wollen, nur nicht in eine Abteilung der Kriminalpolizei. Der Disziplinarausschuss wird Ihnen das nahelegen. Ihre Kollegen vielleicht. Ich.«
»Sie«, wiederholte Lucia. »Und wenn ich das nicht tue?«
Cole verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln. »Dann werden Sie trotzdem versetzt, nehme ich an.«
»Das können Sie nicht machen.«
»Doch, das kann ich, und das werde ich. Was ist denn daran so schlimm, Lucia? Sie und ich, wir wissen doch beide, dass wir Ihnen damit einen Gefallen tun.«
»Einen Gefallen? Wie denn das?«
Cole lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er deutete mit dem Kinn auf die Tür. »Vorhin. Gerade eben. Was war denn da draußen los?«
Lucia verschränkte die Arme. »Warum höre ich das nicht von Ihnen?«
»Sie vergreifen sich im Ton, Detective.«
»Ja, Sir. Tut mir leid, Sir. Aber es würde mich interessieren, was Sie gesehen zu haben glauben. Sir.«
Einen Augenblick schien es, als würde Cole nicht antworten. Als Lucia seinen finsteren Blick gerade erwidern wollte, stieg ihm die Zornesröte ins Gesicht.
»Ich habe Scherereien gesehen, wo vorher Ruhe und Frieden herrschte«, antwortete er. »Ich habe Spannungen und Streit gesehen, wo die Polizisten dieses Departments ihre Kollegen vorher zu ihren engsten Freunden gezählt haben. Das habe ich gesehen, Detective.«
»Vorher. Sie meinen, bevor ich kam.«
»Ja, Lucia. Bevor Sie kamen.«
Lucia nickte. »So, das haben Sie also gesehen. Sonst nichts.«
Der Chief nickte ebenfalls.
Lucia streckte den Rücken durch. »Wie ich höre, haben Sie mit Mr. Travis gesprochen«, sagte sie. »Sie beide hatten ja sicher eine Menge zu bereden. Ich nehme an, Sie haben sich verstanden wie zwei Hauptfeldwebel bei einer Lagebesprechung.«
»Was soll denn das bitte heißen?«, fragte Cole.
Lucia, die schon auf dem Weg zur Tür war, blieb stehen und drehte sich um. »Nichts, was Sie beunruhigen müsste, Chief Inspector«, antwortete sie. »Mir scheint nur, Sie und Travis teilen eine bestimmte Sicht der Dinge.« Sie wollte gehen, hielt aber noch einmal inne. »Wobei ›Sicht‹ nicht ganz das richtige Wort ist, wenn ich so darüber nachdenke.«
Als sie zur Tür ging, rief Harry ihr nach. Sie blickte kurz zu ihm hinüber und hob leicht die Hand, ohne jedoch langsamer zu gehen. Walter sagte etwas, als sie an seinem Platz vorbeikam, aber Lucia schenkte ihm keine Beachtung. An der Tür zum Treppenhaus angelangt, zog sie sie schwungvoller auf als gewollt. Die Klinke schlug gegen den bereits eingedrückten Putz an der Wand, und das Geräusch von bebendem Glas und Metall hallte die Treppen hinab in die Tiefen des Gebäudes.
Lucia folgte ihm.
Sie trat auf die Straße und nahm kaum wahr, wie heiß es war. Sie ging an einem Zeitungsshop vorbei, kehrte wieder um und ging hinein. Sie kaufte dem Bangladescher hinter dem Tresen ein Päckchen Marlboro und eine Schachtel Streichhölzer ab und wartete nicht einmal auf das Wechselgeld. Dann suchte sie eine Bank. Sie war voll von Graffiti und Vogeldreck – wie anscheinend alle Bänke in London –, und an einer Seite klebte etwas Schmieriges, das Banane sein konnte, aber nicht musste. Lucia setzte sich trotzdem. Die Bank stand der Straße zugewandt. Kurz darauf hielt ein Bus. Die Türen öffneten sich, der Fahrer sah Lucia an, und Lucia sah den Fahrer an, dann schlossen sie sich wieder, und der Bus fuhr ab. Lucia nahm eine Zigarette aus dem Päckchen und schaffte es mit dem dritten Streichholz, sie anzuzünden.
Sie rauchte. Drei Busse später rauchte sie immer noch. Vor ihren Füßen lagen vier oder fünf Filter, zwei davon glommen noch. Nachdem sie die neue Zigarette am Stummel der alten angezündet hatte, warf sie ihn auf den Boden. Der erste Zug der neuen Zigarette schmeckte noch ekliger als der letzte der alten. Mit jedem Zug ging es unaufhaltsam abwärts; das Rauchen verschaffte ihr weder Genuss noch Erleichterung. Sie inhalierte noch einmal, lockte die Glut zum Filter, aber sie zog zu stark und musste würgen. Ihr war übel. Sie hustete, dann beugte sie sich vor und erbrach. Das Erbrochene spritzte auf ihre Schuhe und schwappte über die Zigarettenstummel auf dem Boden. Wieder fuhr ein Bus am Straßenrand heran, aber er hielt nicht einmal lange genug, um die Türen zu öffnen. Lucia spuckte. Sie setzte sich auf und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Tränen waren ihr in die Augen gestiegen, und obwohl der Auslöser der Schreck über
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