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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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können. Das Linoleum vor der Waschschüssel ist auch sehr ergiebig, Mylord, wenn ich das sagen darf. Außer den Abdrücken von Sir Reubens Schuhen, auf die Eure Lordschaft mich aufmerksam machten, befindet sich darauf der Abdruck eines nackten Männerfußes - viel kleiner, Mylord, höchstens Größe vierzig würde ich sagen, wenn man mich fragen sollte.«
    Ein sanftes, fast mystisches Strahlen ergoß sich über Lord Peters Gesicht. »Ein Fehler«, hauchte er, »ein Fehler, nur ein kleiner, aber den kann er sich nicht leisten. Wann wurde das Linoleum zuletzt gewischt, Bunter?«
    »Am Montagmorgen, Mylord. Das Hausmädchen hat es abgewischt und mir das erfreulicherweise gesagt. Es ist das einzige, was sie bisher gesagt hat, und das traf gleich ins Schwarze. Das übrige Personal -« Seine Miene drückte Verachtung aus.
    »Was habe ich gesagt, Parker? Höchstens einsachtzig und keinen Zentimeter länger. Und er hat sich nicht getraut, die Haarbürste zu benutzen. Wunderschön. Aber den Zylinder  mußte  er riskieren. Ein Gentleman kann schließlich nicht spätabends ohne Hut durch den Regen nach Hause gehen, Parker. Also, wie erklärst du dir das? Zwei Sorten Fingerabdrücke auf allem außer dem Buch und der Bürste, und zwei Sorten Füße auf dem Linoleum, und zwei Sorten Haare im Hut!«
    Er hob den Zylinder ans Licht und pflückte mit der Pinzette das Beweisstück heraus. »Stell dir nur vor, Parker - an die Haarbürste zu denken und den Hut zu vergessen - die ganze Zeit auf seine Finger zu achten, und dann der eine unvorsichtige Tritt auf das verräterische Linoleum. Hier sind sie, siehst du - schwarzes Haar und rotbraunes Haar - schwarzes Haar in der Melone und dem Panamahut, schwarzes und rotbraunes Haar in dem Zylinder von gestern nacht. Und dann, damit wir nur ja wissen, daß wir auf der richtigen Fährte sind, ein einziges kleines rotbraunes Haar auf dem Kissen, auf diesem Kissen, Parker, das nicht ganz an seinem richtigen Platz liegt. Mir kommen fast die Tränen.«
    »Willst du etwa sagen -?« begann der Polizist langsam.
    »Ich will sagen«, erklärte Lord Peter, »daß es nicht Sir Reuben Levy war, den die Köchin gestern nacht vor der Tür gesehen hat. Ich sage, daß es ein anderer Mann war, vielleicht einen halben Kopf kleiner, der in Levys Kleidung hierherkam und mit Levys Schlüssel die Tür aufschloß. Oh, er war kühn und schlau, Parker. Er hatte Levys Schuhe an und Levys sämtliche Klamotten bis hinunter auf die Haut. Er hatte Gummihandschuhe an den Händen, die er nicht ein einziges Mal auszog, und er hat alles getan, um uns glauben zu machen, Levy hätte in dieser Nacht hier geschlafen. Er hat alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Er ist nach oben gegangen, hat sich ausgezogen, sich sogar gewaschen und die Zähne geputzt, obwohl er die Haarbürste nicht zu benutzen wagte, um keine rotbraunen Haare darin zurückzulassen. Was Levy mit seinen Kleidern und Schuhen zu tun pflegte, mußte er raten; zufällig hat er dann einmal falsch und einmal richtig geraten. Das Bett mußte so aussehen, als ob darin geschlafen worden wäre, also legte er sich im Schlafanzug seines Opfers hinein. Irgendwann im Laufe des Morgens, wahrscheinlich zur stillsten Stunde zwischen zwei und drei, stand er dann auf, zog sich seine eigenen Sachen an, die er in einem Koffer mitgebracht hatte, und schlich die Treppe hinunter. Sollte jemand aufwachen, wäre er verloren, aber er ist kühn und geht aufs Ganze. Er weiß, daß Leute um diese Zeit in aller Regel nicht aufwachen - und es wacht auch niemand auf. Er öffnet die Haustür, die er beim Hereinkommen unverschlossen gelassen hat - er lauscht nach zufälligen Passanten oder dem Polizisten auf seinem Rundgang. Er schlüpft hinaus. Mit Hilfe des Schlüssels zieht er die Tür leise zu. Er entfernt sich rasch auf weichen Gummisohlen - er ist die Sorte Verbrecher, die ohne Gummisohlen nicht komplett ist. Wenige Minuten später ist er an der Hyde Park Corner. Danach -«
    Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort: »Das alles hat er getan, und es zeigt, daß er entweder gar nichts oder alles zu verlieren hatte. Sir Reuben Levy wurde von der Bildfläche weggezaubert, und entweder ist das nur ein dummer Streich, oder der Herr mit dem rotbraunen Haar hat sich einen Mord aufs Gewissen geladen.«
    »Mein Gott!« rief der Kriminalbeamte. »Du dramatisierst ganz schön.«
    Lord Peter fuhr sich müde mit den Fingern durchs Haar. »Mein lieber Freund«, sagte er leise, und in seiner
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