Ein Traum in roter Seide
Kaffee.
Er blickte Michelle an und wirkte genauso gleichmütig wie sie. Sein Gleichmut war natürlich nicht gespielt, denn er empfand nichts für sie.
Er war so entspannt, absolut selbstsicher und von sich überzeugt wie immer. Sein völliges Desinteresse fand Michelle ziemlich deprimierend.
„Geht es dir besser?" fragte er.
„Ja", stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Offenbar ließ es ihn kalt, dass sie unter dem Bademantel nackt wa r.
„Gibt es was im Fernsehen?"
„Das weiß ich nicht. Ich habe nachgedacht."
„Worüber?"
„Dass ich dich gern verführen würde", antwortete er. „Möchtest du es immer noch?"
Sie war sprachlos und glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. „Ah ja." Er nickte. „Ich merke schon, du bist wieder nüchtern und möchtest lieber auf meine Dienste verzichten." Er stellte den Becher hin und stand auf. Dann fuhr er sich mit der Hand durch das goldblonde Haar, und eine gelockte Strähne fiel ihm in die Stirn. Diese Geste erinnerte Michelle an den Tag, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Schon damals war ihr aufgefallen, wie ungemein attraktiv er war.
„Ich hatte mir schon gedacht, dass es so kommen würde", fuhr er fort und warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Vielleicht ist es sogar besser so, denn wenn du Ja gesagt hättest, hätte ich mich sicher nicht beherrschen können. Am besten gehe ich jetzt. Du siehst in dem Bademantel so verführerisch aus, dass ich für nichts garantieren kann.
Gute Nacht, Michelle. Ich rufe dich an, wir gehen mal zusammen zum Essen, wenn du mutig genug bist. Leider muss ich darauf verzichten, dir einen Abschiedskuss zu geben. Du kannst mir glauben, momentan ist es so am besten."
Er durchquerte den Raum und wollte sie offenbar wirklich allem lassen. Aber er hat soeben behauptet, ich wirke verführerisch, schoss es ihr durch den Kopf. Offenbar störte es ihn nicht, dass ihr Haar noch feucht und zerzaust war. Wenn sie in Kevins Gegenwart mit nassem 53
Haar herumgelaufen war, hatte er immer behauptet, sie sehe aus wie eine nasse Katze.
„Warte!" rief sie hinter Tyler her, und er blieb an der Tür stehen.
Michelle atmete tief ein und aus. „Ich ... möchte nicht, dass du gehst", stieß sie heiser und atemlos hervor. „Bleib bitte hier."
Langsam drehte er sich zu ihr um. „Was heißt das?"
„Einfach nur, dass du hier bleiben sollst."
„Die ganze Nacht?"
Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht. Sie fand jedoch die Idee faszinierend. „Ja", erwiderte sie deshalb.
Er kniff die Augen zusammen. „Du meinst aber nicht, dass ich hier auf dem Sofa schlafen soll, oder?"
„Nein..."
„Bist du immer noch beschwipst?"
„Nein!"
„Dann nenn mir bitte drei gute Gründe, warum ich mit dir schlafen soll. Aber ich warne dich! Wenn auch nur einer davon etwas mit Kevins Hochzeit zu tun hat, verlasse ich sogleich deine Wohnung."
„Das ist unfair", beschwerte sie sich. „Wie kann ich das, was heute geschehen ist, von dem trennen, was ich jetzt empfinde?"
„Versuch es wenigstens."
„Pass mal auf, ich bin genauso überrascht wie du", erklärte sie. „Ich weiß nur, dass ich mich, seit du mich geküsst hast, danach sehne, wieder von dir geküsst zu werden und in deinen Armen zu liegen. Und ich möchte wissen, ob ..." Unvermittelt unterbrach sie sich und errötete.
„Red weiter", forderte er sie auf. „Du brauchst dich nicht zu schämen."
„Okay. Ich möchte wissen, ob du im Bett auch so perfekt bist wie in allem anderen, was du tust."
Tyler blickte sie verblüfft an. Er war sprachlos.
Michelle fand die Gelegenheit günstig, etwas zu erfahren, was sie schon immer hatte wissen wollen. „Jetzt musst du mir aber auch verraten, warum du mit mir schlafen möchtest. Du hast mich noch nie verführerisch gefunden. Nenn mir bitte drei gute Gründe, warum das heute Abend anders ist. Und wenn einer davon etwas mit Kevins Hochzeit zu tun hat, kannst du sogleich verschwinden, oder ich werfe 54
dich eigenhändig hinaus", zahlte sie es ihm mit seinen eigenen Worten heim.
Er lachte auf, aber es klang nicht glücklich. „Du machst es einem Mann nicht leicht, stimmt's? Was erwartest du, Michelle? Eine Liebeserklärung?"
„Ich will nur die Wahrheit wissen, sonst nichts. Den anderen Unsinn würde ich dir sowieso nicht glauben", entgegnete sie verächtlich.
„Das kann ich mir vorstellen."
„Was ist jetzt? Fällt dir vielleicht kein Grund ein, warum du heute deinen Michelle-freundlichen Tag hast und zu jedem Opfer bereit
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