Ein Traum in roter Seide
gesamten Konkurrenz den bedeutenden Auftrag eines großen
Lebensmittelkonzerns wegzuschnappen, wurde man auf ihn aufmerksam.
Mit dreißig war Harry schon Multimillionär. Er fuhr einen Porsche und besaß ein Penthouse im nahe gelegenen Kirribilli. Und jedes Jahr erhielt er mit seiner Werbeagentur verschiedene Auszeichnungen.
73
Zehn Jahre nach dem bescheidenen Anfang beschäftigte Wild Ideas fünfzehn Mitarbeiter, und die Büroräume befanden sich jetzt im dritten Stock eines Geschäftshauses im Norden Sydneys, fünf Fahrminuten von Harrys exklusiver Wohnung mit Blick auf den Hafen entfernt. Er hielt nichts von langen Wegen zur Arbeit. Deshalb ermutigte er auch seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, in der Nähe zu wohnen.
Er war vernünftig genug, sein Geld nicht für übertrieben luxuriöse Büros mit supermodernen Einrichtungen auszugeben, sondern legte mehr Wert auf Zweckmäßigkeit. Michelles Büro mit dem praktischen braunen Teppich war geräumig, die wenigen Möbel wa ren aus Kiefernholz, aber die Arbeitsgeräte und der Computer mit allem Zubehör entsprachen dem neuesten Stand der Technik.
Es wurde nur die modernste Bürotechnik angeschafft. Harry achtete sehr darauf, dass seinen Angestellten alles zur Verfügung stand, was für ihre Arbeit wirklich wichtig war. Er stellte nur Leute ein, die ehrgeizig und zielstrebig waren. Ihnen mussten der Job, das Arbeitsklima, die gute Bezahlung und der Erfolg wichtiger sein als dicke Teppiche und drei Stunden Mittagspause.
Michelle bemühte sich, eine möglichst geschäftsmäßige Miene aufzusetzen. „Es ist so, Harry ..." Unvermittelt unterbrach sie sich, denn Harry zog die rechte Augenbraue spöttisch hoch und lächelte.
Für dieses Lächeln war er bekannt und berühmt. Alle wussten, was es bedeutete. Ihr braucht mir nichts vorzumachen, wollte er damit ausdrücken. Michelle wurde nervös und schluckte. Harry duldete keine Ausreden oder weitschweifigen Erklärungen. Es war ihm lieber, man gab offen zu, wenn man einmal mit der Arbeit nicht weiterkam und einem nichts einfiel.
„Es tut mir Leid", sagte Michelle schließlich, „ich kann mich heute nicht konzentrieren."
„Kann ich dir helfen?"
Beinah hätte Michelle gelächelt. Wenn sie ein Problem mit ih rer Arbeit gehabt hätte, hätte Harry es sicher mit atemberaubender Geschwindigkeit und ausgesprochen brillant gelöst. Aber er wäre der Letzte, mit dem sie über ihre persönlichen Schwierigkeiten reden würde, und über Tyler erst recht nicht. Dazu waren Tyler und Harry sich zu ähnlich. Beide waren Playboys, und beide dachten gar nicht 74
daran, sich zu binden oder sich ernsthaft zu verlieben.
Wahrscheinlich hätte er sowieso nicht verstanden, wo ihr Problem lag, sondern ihr geraten, ihren Spaß zu haben und sich zu verabschieden, ehe Tyler ihr den Laufpass gab.
„Am Wochenende hat ein Freund von mir geheiratet, und es gab eine große Party. Irgendwie habe ich einen Kater vom vielen Feiern.
Morgen bin ich wieder fit", versprach sie.
Harry nickte. Dass man manchmal einen Kater hatte, konnte er gut verstehen und nachfühlen. „Okay. Aber nimm dir für nächstes Wochenende nicht zu viel vor. Nächsten Montag müssen wir die Werbekampagne Punkt für Punkt durcharbeiten, damit wir mögliche Unebenheiten und Ungereimtheiten noch vor der Präsentation ändern können."
Michelle unterdrückte ein Stöhnen. Solche Generalproben, wie sie es intern nannten, waren ihr ein Gräuel. Es waren immer alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dabei, und jeder musste seine Meinung dazu sagen.
Harry kniff die Augen zusammen. „Bist du sicher, dass du zurechtkommst?"
„Natürlich."
„Hoffentlich, Liebes", sagte er spöttisch und verließ den Raum.
Dass er sie Liebes genannt hatte, war nicht ungewöhnlich und hatte nichts zu bedeuten. Doch plötzlich runzelte Michelle die Stirn. Tyler hatte sie während des ganzen Wochenendes auch mit solchen nichts sagenden Kosenamen angeredet. Es hatte sich liebevoll angehört, auch irgendwie sexy, aber wahrscheinlich hatte es genauso wenig zu bedeuten wie bei Harry.
Wie vielen anderen Frauen hatte Tyler schon so zärtliche Worte während des Liebesspiels ins Ohr geflüstert?
Plötzlich läutete das Telefon. „Ja?" meldete sie sich etwas zu scharf und ziemlich gereizt. Sie war nicht in der Stimmung, mit jemandem zu reden.
„Ich höre schon, es ist der falsche Zeitpunkt, oder?"
Es war Tyler, Tyler mit seiner verführerischen Stimme und dem herrlichen Körper.
Michelle
Weitere Kostenlose Bücher