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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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alle anderen in dem Moment, als der Aufnahmeleiter »Wir haben alles! Feierabend!« schrie, sein Lächeln zusammenfallen ließ, auf dem Absatz kehrtmachte, und innerhalb von 15 Sekunden war der ganze Raum leer und ich mutterseelenallein.
    Ich hatte nicht mal mehr die Kraft, mir an den Kopf zu fassen. »Willkommen im deutschen Fernsehen!«, hörte ich mich fassungslos murmeln, aber niemand anders nahm es wahr, niemand antwortete, alle waren sie in ihrem »Feierabend«, denn sie hatten ja alles.
    Ein beschissener Albtraum.
     
    Später versuchte ich zu erwirken, dass der Mist niemals ausgestrahlt würde, nur der Sender, natürlich ein privater, hatte gar nicht vor, die Szenen mit mir zu zeigen, und in einer offiziellen Begründung, vom Pressesprecher verlesen, verlautete, man habe sich entschlossen, den Streich, den man Herrn Herbst gespielt habe, der Öffentlichkeit vorzuenthalten, weil »Herr Herbst nicht lustig genug reagiert« habe.
     
    So, und da stehe ich nun mutterseelenallein am panamaischen Förderband, sehe in unmittelbarer Nähe meine Leute und habe den Eindruck, dass über das eine oder andere schlecht rasierte Gesicht ein merkwürdiges Grinsen huscht. Doch es gibt nicht den geringsten Anlass für mich, ein paar Blitz-Vater-Unser zu beten.
    Es ist, wie soll ich sagen, eine Art posttraumatischer Reflex, aus dem heraus ich auf den sehr fetten Uniformierten mit den vielen Aaaren und der achteckigen Polizeimütze zustiebe, der auf der anderen Seite des Fließbandes Wache schiebt. Wie ein Hürdenläufer überspringe ich jedes Hindernis und drehe mich sogar noch, wie in Zeitlupe, nach hinten zu meinem Publikum um, das ich frech angrinse, worauf es aber nur mit Fragezeichen in den Gesichtern reagiert, die ich in diesem Moment noch nicht verstehen sollte. »Ich werde euch schon noch die Ausrufungszeichen ins Gesicht fräsen«, denke ich in stiller Vorfreude auf das, was ich jetzt zu tun vorhabe, nämlich dem Streich einen Strich durch die Rechnung zu machen.
    Ich komme vor dem schnauzbärtigen Mann zu stehen. Er ist so überfordert von, keine Ahnung, sich selbst, dass er geradezu erstarrt, als ich plötzlich bedrohlich nah vor ihm stehe und ihm ins Gesicht atme:
     
    »Du merkst gar nichts, was?«
     
    Und damit packe ich seinen Schnäuzer, um ihn mit einem festen Rrrrrrruck abzuziehen, nicht ohne in die Ecke über ihm zu gucken, wo ich eine Kamera entdeckt habe, in die ich charmant hineinlächele.
    Die Maskenbildnerin muss es besonders gut gemeint haben. Der Kunstbart ist störrisch, aber ich bin störrischer, und so hüpfe ich an ihm hoch und bekomme mit festem Griff sein sehr künstlich wirkendes Haupthaar zu fassen, das sich aber auch nicht lösen lässt. Zu allem Überfluss wird der Lockvogel jetzt auch noch pampig, setzt sich zur Wehr und zieht seine Spielzeugpistole. In mir rumort es, ein Rumoren, das in ein Zittern übergeht, um in einem Beben zu münden: ich lache, wie ich es noch nie in meinem Leben getan habe, lache ihn aus, und es ist die geradezu meditative Stille um mich herum und natürlich auch die geschätzten siebzig auf mich gerichteten Augenpaare, die meinen Anfall ganz langsam verebben lassen und mir dazu verhelfen, die Situation so einzuschätzen, wie sie wirklich ist.
    Mir entfährt noch ein überirdisch leises »Da! Kamera!«, und im selben Augenblick höre ich das bekannte »Krrrrrrrrrrrrttt!«, und der Rest ist Schweigen.

5
    Sonntag, 3. Januar
    Zwei Nächte haben wir noch hier in Panama verbracht. Erst heute Abend werden wir in See stechen und dann beginnt das Eigentliche, auch wenn ich das Gefühl habe, dass schon genügend Eigentliches passiert ist.
    Aber vor das Schlaraffenland haben die Götter einen riesigen Berg Grießbrei gesetzt, und durch den muss man sich halt erst mal futtern. Habe den gestrigen Tag dazu genutzt, über das Erlebte hinwegzukommen. Dass ich wieder, und auch so rasch wieder, auf freiem Fuß bin, ist nur unserer polyglotten ersten Aufnahmeleiterin zu verdanken, die nicht nur fließend Spanisch spricht, sondern zudem noch so weitgereist und weltgewandt ist, dass sie sich anscheinend in jede noch so fremde Kultur aus dem Stand hineindenken kann. Im Falle des vermeintlichen panamaischen Lockvogels mit tschechischem Bart hat sie zumindest alles richtig gemacht. Denkbar ist allerdings auch, dass meine geradezu überstürzte Freilassung nicht ihrem Charme und ihrer Anpassungsfähigkeit geschuldet war, sondern einem silbernen Koffer, den ich den Besitzer wechseln

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