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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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Handschuhfach auf der Beifahrerseite aufzuklappen. Ich verwies mit einem hilflosen Blick auf meine siamesischen Hände, was dem Uniformierten, der hier fürs Schubsen zuständig war, die Möglichkeit bot, noch mal zu zeigen, was er auf der Polizeischule im Riesengebirge gelernt hatte.
    Wie ein Würstchen kam ich mir vor und so werde ich auch ausgesehen haben, als ich nun mit beiden Armen versuchen musste, durch das nur halb heruntergekurbelte Beifahrerfenster zu greifen, um an das sehr tief liegende Fach zu kommen. Nach mehreren Versuchen gelang es mir, es zu öffnen, und was ich zu sehen bekam, hätte mein Gesicht ein weiteres Mal auf den Boden plumpsen lassen, wenn es da nicht noch gelegen hätte: Ein bis zum Bersten gefüllter, durchsichtiger Plastiksack, der randvoll war mit einem weißen Pulver.
    Mein Fahrer hatte, wie es schien, mit mehreren Arbeitgebern, mehreren Branchen und mehreren Produktlinien zu tun. Im Grunde verständlich in einer Zeit, in der der erste Arbeitsmarkt immer mehr aufweichte und in der man flexibel und mobil sein musste.
    Scheiße, dachte ich, was bitte kommt als Nächstes?
    Wo werden die mich hinbringen?
    In dasselbe Loch, in dem schon mein Fahrer darbt und die ersten Striche an die Wand kritzelt, während er eine Kakerlake runterwürgt?
    Schon hatte ich eine Hand wie eine Bratpfanne, groß, heiß und fettig, im Nacken und wurde unsanft in einen Polizei- PKW gedrückt. Ich stieß mir den Kopf an dem Blech über dem Einstieg, aber das war sogar ganz gut, denn so spürte ich mich wenigstens langsam wieder. Alle, eigentlich längst ad acta gelegten, Ressentiments »dem Osten« gegenüber brachen wie Pestbeulen wieder auf, dabei hatte ich Prag bisher für eine der westlichsten Städte überhaupt gehalten, zumindest für westlicher als zum Beispiel Frankfurt an der Oder, aber jetzt, hier in diesem klapperigen Lada, mit drei schwer bewaffneten, nur ausländisch sprechenden, übellaunigen Männern, die allesamt aussahen wie verkleidete Schwerverbrecher, und von denen ich nicht wusste, mit welchen Vorurteilen über mich sie selbst ausgestattet waren, hatte ich eher den Eindruck, Sibirien sei gleich um die Ecke.
    Gibt es eigentlich noch Schnellgerichte?
    Also nicht die Fünf-Minuten-Terrine und heiße Tasse jetzt, sondern diese mobilen Einsatzgerichte, die einem im Handumdrehen den Hals umdrehen konnten und alles mit höchstrichterlicher Befugnis!? Keine Ahnung, aber mir schwante Schwärzestes.
    Wer sagte eigentlich, dass ich in diesem Augenblick nicht von einer besonders geschickt vorgehenden, international arbeitenden Gruppe von Kriminellen entführt wurde, einer Gruppe, die sich auf deutsche Schauspieler spezialisiert hatte?
    Den Versuch, mich aus dem fahrenden Wagen zu stürzen, habe ich nur deswegen nicht gestartet, weil ich der Meinung war, ein querschnittsgelähmter König Julius käme nicht so gut an, und ich wollte nicht, dass Benno Fürmann meine Rolle übernimmt, denn dann hätte sicher die Ferres die Makatsch gespielt und Bruno Ganz Hui Buh.
    Wir fuhren tatsächlich immer mehr ins Grüne, ein Grün allerdings, das nichts Einladendes oder Sommerfrisches hatte, sondern vielmehr ein Grün der Fäulnis, des Überwucherns und des Vergessens war. Ich kam mir vor wie in den Karpaten, und sicher war ich längst in diesem tschechischen Gebirge. Bestimmt war dann die Walachei auch nicht mehr weit, und vielleicht wuchs hier auch irgendwo der Pfeffer und Prag war die Partnerstadt von Canossa, und lag die nicht am Jordan? Alles ergab auf einmal Sinn, doch für Sinn war es ein wenig spät.
    Mit einem Mal wurde mein Kopf nach vorne geschleudert. Der Typ vorne links hatte gebremst. »Policejní Stanice« las ich auf einem durchlöcherten und im Wind quietschenden Schild rechts vor uns, und schon wurde ich in diese Richtung abgeführt. Abgeführt – wie ein Stück Scheiße.
    Moderig roch es, als wir die sogenannte Polizeistation betraten – ein Ort, den man in Deutschland nicht mal als Bedürfnisanstalt zulassen würde –, und ich sah, wie im schlimmsten
Bonanza
-Kitsch, verrostete Eisenstäbe, hinter denen sich so was wie Zellen verbargen; saß in der einen nicht sogar jemand?
    Ich war schon froh, nicht über irgendwelche Skelette oder Schädel zu stolpern, wobei mich auch das nicht mehr gewundert hätte. Mittlerweile war ich in einem Maße erschüttert, das nicht mal mehr ein Seismograph hätte aufzeichnen können. Ich ertappte mich dabei, wie ich wieder und wieder Sätze in meinem Kopf

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